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Es wird schon

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In „Das Glück wie es hätte sein können“ treffen durch Zufall ein Mann und eine Frau aufeinander. Sie beide haben sich in ihrem Leben gut eingerichtet. Sind verheiratet. Und doch ist da etwas, dass sie aneinander fasziniert…

Das Buch beginnt wunderbar lakonisch, ist dabei voll von einfallsreichen Wortbildern und erzählt frisch und spannend aus zwei Perspektiven (der von Suzanne und der von Serge) von der Begegnung welche die flachen Wasser des gewohnten Lebens aufstört.

Alle Menschen die sie durch die Straßen gehen sieht haben Suzanne zufolge eine Gemeinsamkeit: den Gedanken „Es wird schon“. Dieser Gedanke ist nur ein Beispiel für die Tiefgründigkeit die in „Das Glück wie es hätte sein können“ immer wieder mit federnden Schritten daherkommt.

Die Autorin rüttelt an gängigen Vorstellungen zur weiblichen Schönheit, bringt interessante Gedanken zur Fortbewegung ein und beschreibt überzeugend und interessant die Arbeit der Klavierstimmerin Suzanne.

Dann jedoch vertieft sie sich immer mehr in die Kindheitstraumata von Serge, die zwar sehr spannend erzählt sind, letztendlich aber das Buch aus dem Gleichgewicht reißen. Der Mann frisst immer mehr Seiten, die Frau tritt zurück und plötzlich fühlte ich mich genau wie Suzanne als Leserin in die Rolle der hilfreichen Frau versetzt, bei der sich der gequälte Mann ausweinen kann.

Vielleicht habe ich es einfach satt von tollen Frauen zu lesen,  die auf den „Mann ihres Lebens“ warten, während dieser Mann ganz offensichtlich ein verantwortungsloser und egozentrischer Idiot ist.  Und bei dieser Frau, die das Leben immerhin schon recht gut kennt finde ich es noch dazu nicht überzeugend.

Das Ende des Buches finde ich wirklich schwach. Zu verworren und dramatisch. Zu sehr hinausgezögert. Aber  vermutlich ist es schwieriger das Ende eines Buches zu schreiben als seinen Anfang.

Auf den letzten Seiten findet die Autorin zu einem Bild über die Eltern-Kind Beziehung, das mir in Erinnerung bleiben wird. Und das mich denken lässt: hätte sie sich nicht zu sehr in der traurigen Geschichte eines Mannes verloren wäre es ein richtig gutes Buch geworden. So verdient „Das Glück wie es hätte sein können“ aber immer noch drei Pfoten.

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Die Rosa – Hellblau – Falle

astronautinAstronautin begrüßt Außerirdische

In ihrem Buch“Die Rosa-Hellblau-Falle“ schreiben Almut Schnerring und Sascha Verlan, Eltern von drei Kindern, über Rollenklischees und Möglichkeiten ihrer Überwindung.

Aber warum sollten Genderklischees überhaupt ungerecht sein? Gibt es nicht biologische Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen? Berücksichtigen wir nicht einfach unterschiedliche Bedürfnisse? Wäre es nicht Gleichmacherei Mädchen und Jungen identisch zu behandeln?

Es geht den Autoren nicht darum biologische Faktoren für unterschiedliches Verhalten kategorisch auszuschließen. Sie zeigen aber, dass die heutigen Genderklischees aus einer patriarchalen Gesellschaftsordnung stammen, in der Frauen dem Mann klar untergeordnet waren. Einer Gesellschaftsordnung also, die weder naturgegeben noch erstrebenswert ist.

In den Klischees wird eine Benachteiligung und Einschränkung konserviert, die im Grunde längst obsolet ist.  Da Männer und Frauen heutzutage im wesentlichen die gleichen Aufgaben übernehmen sollen hat die Dichotomie der Geschlechter als Orientierung für Bildungsgang und Berufswahl ausgedient.

Wie aber kann man es verhindern seine Kinder in Genderklischees zu zwängen? Dazu geben die Autoren viele Tipps. Eigene  Rollenvorstellungen dürfen hinterfragt werden. Ebenso die Gender-Konzepte von Marketingstrategen und Aufmacher aus Politik und Medien. Soziologische und Psychologische Studien, Interviews und erschreckende Beispiele aus der Warenwelt schärfen die Wahrnehmung und liefern zugleich profunde Argumente gegen die Ungleichbehandlung.

fußballmitpapaFußball mit Papa.

Neben Familie und Freunden sind es die Bildungsinstitutionen, in denen Kinder die meiste Zeit verbringen. Und auch hier spielt das Geschlecht eine große Rolle. Vor noch nicht allzu langer Zeit war höhere Bildung den Jungen und Männern vorbehalten. In vielen Ländern wird um die Abschaffung dieser Ungerechtigkeit noch gekämpft.

Doch auch bei uns ist Gender immer wieder ein wichtiges Thema. Sind die Jungen gar zum schwachen Geschlecht geworden während die leistungsbereiten Mädchen an Ihnen vorüberziehen? Liegt das womöglich am Mangel an männlichen Vorbildern? Weit gefehlt! Was den Jungen in der Schulzeit in die Quere kommt ist gerade das „männliche“ Verhalten, das lernen für uncool erklärt. Aber viel entscheidender für den Bildungserfolg ist leider noch immer die Schichtzugehörigkeit.

Außerdem überflügeln die Mädchen nur bis kurz nach dem Abitur die Jungen. Bei den höheren Bildungsabschlüssen kehrt sich das Verhältnis um. Hieran ist zu erkennen, dass immer noch an der Bildungsgerechtigkeit für Mädchen gearbeitet werden muss und auch Jungen vom Aufbrechen der Genderklischees profitieren können.

polizistinMotorradpolizistin

Im letzten Jahrzehnt  wurde bei allen erdenklichen Produkten, vom Taschentuch bis zum Keks, die Markenidentität aufgebohrt, um immer mehr Varianten in Geschmack, Komposition oder Farbgebung anzubieten. Zum einen ermöglichte dies den Herstellern, Novitäten anzupreisen. Zum anderen konnte der Umsatz gesteigert werden wenn verschiedene Varianten eines Produktes gekauft wurden.

Produkte die auf nur ein Geschlecht ausgerichtet sind passen in dieses Konzept. Nun genügt es nicht mehr Spielfiguren zu kaufen, es müssen Figuren für Jungen oder eben für Mädchen sein. Inzwischen hat sich diese gewinnbringende Aufteilung auf viele Warengruppen ausgedehnt.

Wie aber kann man sich wehren? Die Autoren schlagen vor sich diese Eingrenzung von Außen bewusst zu machen. Warum nicht einen Fußball für ein Mädchen kaufen und eine Fee für einen Jungen? Immer wenn das Gefühl „Aber das ist doch nur für ein Geschlecht geeignet…“ aufkommt noch einmal überlegen: Es geht um Spaß beim Spielen. Das sollte das Auswahlkriterium sein.

Eine weitere Methode ist das Zweckentfremden. Kinder tun es beim spielen ohnehin, denn in ihrer Phantasie wird aus der rothaarigen Meerjungfrauen-Figur mal eben Pippi Langstrumpf und dann eine Tanzlehrerin. Aber auch Eltern können Spielsachen in einen neuen Kontext stellen. Es aus den rosafarbenen oder blauen Verpackungen nehmen und neu zusammenstellen. Alle Abbildungen in diesem Beitrag wurden von solchen neu zusammengesetzten Figuren gezeichnet.

hexeunddracheHexe fliegt mit Drachin.

Einen großen Einfluss auf Kinder und ihre Selbstwahrnehmung haben auch Bücher, Filme und andere Medien. Oft darf der Junge oder Mann das Spannende machen während die Mädchen und Frauen vor allem hübsch und passiv sind.

In Filmen sprechen Frauen meist nur miteinander, wenn es um einen Mann geht.  In einem Buch über eine Kreuzfahrt  will das Mädchen sonnenbaden und der Junge Piraten treffen. Hier werden nicht nur Gender-rollen wiedergegeben, sie werden verstärkt. Und auch die Verlage haben entdeckt, dass durch die Einteilung Bücher-nur-für-Jungen und Bücher-nur-für-Mädchen der Umsatz gesteigert werden kann.

Jungen, so heißt es mögen einfach keine Bücher lesen, in denen Mädchen die Handelnden sind. Nun, wenn die Cover dann Pink sind und die Mädels dauernd über Schminke quatschen mag das sein. Aber solche Bücher sind auch für Mädchen langweilig und ab 12 peinlich.

Aber Frauen sind in den Medien nicht nur passiv. Sie werden auch zum Objekt. Am Auffälligsten ist dies in der Werbung. Da werben Plakate mit einer nachgestellten Vergewaltigung, mit Frauenbeinen oder einfach so mit nackten Frauen. Ein interessantes Projekt entlarvt diesen widerwärtigen Sexismus durch die Umkehrung der Geschlechter: Männer posieren.

lefriseurFriseur mit Kundin.

Die entscheidende Frage ist nicht, inwieweit biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen. Die entscheidende Frage ist, wie wir gesellschaftlich eine gerechte Behandlung beider Geschlechter umsetzen können. Wir alle können davon profitieren! Eine fünfpfotige Leseempfehlung für die „Die Rosa-Hellblau-Falle“ .

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Das Mädchen mit dem Haifischherz

haifischherz_8899x4214Die Mädchen unter sich – ein unbetreuter Augenblick…

Anais Hendricks ist fünfzehn Jahre alt und wird gerade wiedereinmal in eine Jugendhilfeeinrichtung gebracht. Sie soll eine Polizistin ins Koma geprügelt haben. Sie selbst kann sich an diesen Tag nicht erinnern.

Nun wird Anais in ein Heim eingewiesen, das besonders streng ist.  Es ist ein Panopticon, in dem die Jugendlichen unter ständiger Beobachtung durch den Wachturm im Zentrum des Gebäudes stehen.

Anais hat ohnehin schon lange das Gefühl ein Experiment zu sein und ständig beobachtet zu werden. Sie hat ihr ganzes bisheriges Leben bei  Pflegeeltern oder in Heimen verbracht. Stets wurden Berichte über sie verfasst, sie wurde beobachtet, beurteilt, begutachtet und therapiert. Echte Zugehörigkeit und Geborgenheit hat sie dagegen nicht erfahren.

Das Panopticon scheint der alptraumhafte Höhepunkt in Ihrer Laufbahn durch Institutionen zu sein. Dennoch findet Anais hier Verbündete. Und sie hat auch etwas Glück: Die geschlossene Station ist noch nicht fertiggestellt.

Jenni Fagan zeigt in ihrem Roman „Das Mädchen mit dem Haifischherz“ auf, welche Misstände im Fürsorgesystem bestehen. Wie Jugendliche allein schon durch die Strukturen systematisch gedemütigt und entmutigt werden. Welche Schäden nur scheinbar wohlwollende Sozialarbeiter, Richter und Polizisten anrichten können und warum wirklich engagierte Sozialarbeiter diese kaum verhindern können.

a_rest_in_the_treeFür Sich sein kann sie nur draußen – Anais lässt sich baumeln.

Gleichzeitig verklärt Jenni Fagan nicht für einen Moment ihre jugendlichen Protagonisten. Sie haben Persönlichkeit, Wünsche und Ziele. Und sie sind nicht zimperlich.

Das Buch ist sehr gut geschrieben, spannend und humorvoll. Und es hat eine Lektion im Gepäck, die nicht an Jugendliche gerichtet ist, sondern an die Gesellschaft: Die Würde ihrer Schutzbefohlenen wird angetastet.

Fuck sei Dank, dieses Buch wurde geschrieben!  Es bekommt eine fünfpfotige Leseempfehlung! 5 pfoten copy

Wenn das Essen Spaß macht schmeckt alles besser!

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Das wunderbare Bilderbuch „Ketchup für die Königin“ trifft mit seiner phantasievollen Geschichte ins Schwarze.  Wie sehr ständige Ermahnungen die Stimmung am Esstisch stören, wie gut es manchmal tut sich bei Tisch zu benehmen zu wissen und wie viel besser alles schmeckt wenn man mit Freude isst, all das erfährt man in diesem Buch.

Ein Mädchen wird plötzlich von der Königin von England zum Essen eingeladen! Als sie abgeholt wird hat sie nicht einmal Zeit sich umzuziehen. Wird sie sich schlecht benehmen und die Königin verärgern?

Die Autorin und Zeichnerin Rutu Modan schöpft aus ihren Erfahrungen als Tochter und als Mutter. So können sich in der leichten und doch  hintergründigen Geschichte Kinder und Erwachsene mit einem Lachen wiedererkennen. Die Bilder im Stil einer Graphic Novel stecken voll amüsanter Details und sind exzellent beobachtet. Ein Buch das immer wieder gern gelesen wird und eine fünfpfotige Leseempfehlung verdient.

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Mach dieses Buch fertig!

Wer kennt sie nicht, die vielen Bücher die suggerieren, jeder könne malen, kreativ sein und gleichzeitig Strich-für-Strich Anleitungen anbieten auf deren Grundlage etwa ein kitschiges Kaninchen entsteht.
Von einem ganz anderen Kaliber ist das wunderbare, im Kunstmann Verlag erschienene „Mach dieses Buch fertig„.

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Die Künstlerin Keri Smith hat hier eine moderne Kunstauffassung in Buchform gebracht – und zwar nicht zur theoretischen sondern zur praktischen Anwendung.
Dieses Buch gibt auch Anleitungen, aber es sind enthemmende Anleitungen mit viel Raum zur Interpretation. Es sind Anleitungen als Katalysator der Kreativität, sie lassen Raum und sie lassen den Bearbeiter des Buches Raum gewinnen.
Denn durch den allzu vorsichtigen Umgang mit Büchern oder Zeichnungen verpasst man einiges.
Zu reißen, zu schneiden, mit dem Kamm oder den Fingern zu malen: dies alles führt zu einem erweiterten kreativen Repertoire und wunderbaren Bildern.
Noch dazu ist dieses Buch geeignet jeden Buch-Perfektionisten zumindest über die Zurichtung dieses einen Buches froh sein zu lassen.
Dieses Buch bekommt eine fertig-mach-Empfehlung mit fünf Pfoten und wird hiermit als Klassiker des Kreativen ausgezeichnet. Danke Keri Smith, danke Kunstmann!

Vom Kommunismus zur Kommune ist es ein weiter Weg…

Kathrin Aehnlich beschreibt in ihrem Roman „Wenn die Wale an Land gehen“ zwei Phasen des Aufbruchs im Leben einer phantasievollen Frau.
Roswitha, manchmal auch Rose genannt, fliegt nach New York, auf der Suche nach ihrer Jugendliebe „Mick“. Da sie  nur eine mehrere Jahre alte Adresse zum Anhaltspunkt hat, ist ungewiss ob sie Mick finden kann. Was sie findet und entdeckt ist das Land, von dem Mick immer geträumt hat, damals in der DDR: Amerika, das Land in dem alle Bücher und Platten erhältlich sind, das Land des Rock and Roll. Sie trifft auf eine kleine Gemeinschaft, Freunde von Mick, die sich am Rande, in den Freiräumen der Gesellschaft eingerichtet hat.
Gestrandeter Wal – gestrandete Frau?
Sie denkt immer wieder zurück an die gemeinsame Jugend. An die Studienzeit in Leipzig, in der sie dem bedrückend spießigen Heimatort entkommt, die Zeit der Freiheit und Unbeschwertheit, die Freundschaft mit „Mick“, mit „Frau Pulver“ und mit „Zappa“.
Die fünf bauen sich eine Welt aus Kreativität, Genuss und Verbundenheit auf. Sie sitzen in Cafes, stöbern in Buchhandlungen, ergattern beliebte Platten, reden, feiern.
Paradoxerweise hatte Mick davon geträumt, dass sie alle in Amerika in einer Kommune leben sollten. In der spießigen DDR Realität müssen die Freunde in ihre Kinderzimmer zurück ziehen.
Sie treten ein in die Arbeitswelt, in die sie nicht hineinpassen, stoßen an allen Enden an die Ideologie, werden voneinander getrennt und machen Bekanntschaft mit der zersetzenden Macht von Spitzeln.

Es sind die letzten Jahre der DDR, doch ihnen erscheinen sie wie eine bleierne Ewigkeit aus der sie fliehen möchten.

Der Roman ist spannend und mit viel Witz und Leichtigkeit erzählt. Zugleich gelingt es der Autorin die Gewalt eines ideologischen Systems über das Leben Einzelner erschreckend deutlich zu machen.
Eine viereinhalbpfotige Leseempfehlung mit fünf Sternen für dieses Buch, das im Kunstmann Verlag in beglückend schöner Austattung erschienen ist.

This is…London!

 
Inmitten des Illustrationstrends zur betonten Hässlichkeit stechen Alte Meister der Illustration wohltuhend hervor. 
Der Kunstmann Verlag legt eine Serie von Mirsolav Sasek wieder auf. In fein gezeichneten, ansprechend colorierten Lithographien trifft er das Lebensgefühl der dargestellten Städte ausnehmend zeitlos. Hier lernt der Leser durch prachtvolle Bilder und kurze Texte mehr als in manchem Reiseführer.
Neu erschienen ist im August der Band zu London. Die Bilder aus den fünfziger Jahren zeigen das Herz von London in allen Facetten. Berühmte Gebäude wie den St. James‘ Palace und die Tower Bridge. Berühmte Plätze und Straßen wie Piccadilly Circus, Threadneedle Street und Trafalgar Square. Echte londoner Gestalten wie den Bobby, die Palastwache den Fischträger und den Straßenkehrer. Dies und noch viel mehr lässt das Herz des Betrachters höher schlagen. Meine Lieblingsbilder aus dem Band sind die über die londoner U-Bahn.
Abgerundet wird der hochwertig gestaltete Band durch ein Register mit aktuellen Informationen über alles, das sich geändert hat.
Eine fünfpfotige Leseempfehlung!

There’s something fishy going on…

Warum um alles in der Welt sollte man etwas über Fische lesen? Der Fisch ist doch allerhöchstens zweifelhaft (fishy), oder nicht? Solche Fischfremdheit hat Arezu Weitholz, die Autorin des Buches „Ein Fisch wird kommen – kleine Fischkunde mit Gedichten“ schon vorhergesehen. Im ersten Gedicht erklärt sie: wem Fische nicht auf den Geist oder auf die Nerven gehen, wer hingegen sogar Wert auf Fische legt, der solle anfangen zu lesen.
Da, genauer betrachtet Fische schon ziemlich wertvoll sind liest man weiter, und findet sich in einer faszinierenden Welt wieder. Aus Wortspielen, Anspielungen und erstaunenden Informationen hat die Autorin mit schwungvollen Bildern und heiter bis nachdenklichen Texten ein Werk geschaffen, nach dessen Lektüre man viel von und viel über Fische gelernt haben wird.
Es gibt tatsächlich Fische, die an der Luft atmen können und bei Dürre an Land gehen um nach neuen Tümpeln zu suchen. Und dass es den Bücherwurm gibt, und lesende Fische gegen den Strom schwimmen ist ja wohl common sense!
Ich gebe diesem intelligenten und wunderschön vom Kunstmann Verlag hergestellten Büchlein vier Pfoten! Und eine Empfehlung für Fischliebhaber und alle die es werden wollen…

Das Auge braucht was zu lachen

Ein schönes kleines Buch voller Poesie. Hans Stilett erzählt in kurzen Texten von seiner Kindheit. Es gelingt ihm die Erfahrungen des Jungen der er mal war gegenwärtig und lebendig zu machen. Er bewahrt so in der Erzählung Begebenheiten aus lange vergangenen Tagen, mach sie anschaulich. Und zugleich ruft er Erinnerungen ins Gedächtnis die in Variationen der eigenen Kindheit zugehören.
Eingeleitet wird das Buch von einem Montaigne Zitat: Ein kleiner Mensch ist ein ganzer Mensch, genauso wie ein großer. Ein Kind erfährt und fühlt und weiß, genau wie ein Erwachsener, der Blickwinkel mag ein anderer sein, nicht aber der Gehalt an Wahrem.

Schmelzende Schneeflocken auf dem Handschuh, Phantasien nach einem Sonnenstich, Beerenpflücken, Holzklauben, spielen mit den Freunden, erste Verliebtheit aber auch Tod, Krankheit und politische Unruhen erlebt der kleine Hans an seinem Kindheitsort Eulenrod.

Anrührend sind seine Beschreibungen der Mutter, die oft wenn alle lachen nach oben oder nach unten schaut, der er vertrauen kann und die einen Blick für das Schöne hat.
Faszinierend sind die Beschreibungen der damaligen Sitten, die gemeinsame Totenwache, das gemeinsame Backen, das Kohlenklauben und Beerenpflücken.

Ich kann das Buch jedem empfehlen, der einmal in die Zeit der eigenen Eltern oder Großeltern eintauchen mag (Generation um 1920). Hier wird der Alltag dieser Generation so dicht und nachvollziehbar beschrieben, wie man es von den Großeltern gerne gehört hätte. Es berichtet nichts außergewöhnliches, aber das außergewöhnlich gut.

Ein leiser Roman, damit die Kinder nicht aufwachen

Im Roman „Die Schwerelosen“ von Valeria Luiselli wird in kurzen Abschnitten erzählt, die auf den ersten Blick aussehen wie Aphorismen.
Die Abschnitte sind so kurz, weil hier eine Mutter schreibt. Sie schreibt, wenn das Baby schläft. Sie schreibt einen leisen Roman, sie schreibt einen Roman in den wenigen Momenten der Ruhe. Die Form des Buches ist durchdrungen von dieser Mutter und ihrer Familie. Die aphoristischen Textstücke sind verschachtelt wie das Haus, in dem die Familie wohnt, und das die Mutter nie verlässt. 
Sie schreibt ein Buch über ihre Zeit als Übersetzerin in einem kleinen Verlag in New York. Die junge Frau lebt am Rande, am Rande ihrer Wohnung, am Rande der Stadt. Sie füllt ihr Leben, ihre Wohnung mit Menschen, mit ihrer Freundin und mit Männern. Doch alles ist in der Schwebe, nichts nimmt eine feste Form an.
Wenn die junge Frau in ihrem roten Mantel durch die Stadt streift sieht sie sich selbst. Unterwegs zu sein, heißt da zu sein.
Eines Tages entdeckt sie in einer Bibliothek Briefe des Dichters Gilberto Owen. Er hatte vor Jahrzehnten nicht weit von ihrer Wohnung entfernt gewohnt. Dieser Dichter fasziniert sie, sie will dass er übersetzt und veröffentlicht wird. In ihr Leben kommt Verbindlichkeit – der Geist des Dichters ist ihr näher als die Lebenden. Manchmal sieht sie ihn in einer parallel fahrenden U-Bahn sitzen.

Wer schreibt, bestimmt das Geschriebene, kann sich in ihm distanzieren, sich verlieren und von der erschaffenen Welt auch bestimmt werden. Die Realität und die Fiktion vermischen sich, mal fruchtbar, mal beschwerend.
Der Ehemann liest immer wieder Textabschnitte seiner schreibenden Frau, liest über ihre Liebschaften, über ihr Innerstes  – und die Familie, ja das ganze Haus drohen auseinanderzubrechen.
Vielleicht schriebt auch Gilberto Owen dieses Buch, schreibt in Philadelphia ein Buch über eine Frau, die in Mexiko City in ihr Haus eingeschlossen ist. Auch das Leben des Dichters ist geprägt von dem Gefühl zu verschwinden. Und manchmal sieht er in der UBahn eine junge Frau in rotem Mantel.

Im Roman „Die Schwerelosen“ von Valeria Luiselli eröffnet sich dem Leser das Spannungsfeld zwischen Ungebundenheit und Familie, Fiktion und Realität, Autorschaft und literarischer Figur,
Intellektualität und Körperlichkeit.
Es handelt vom verschwinden: dem Verlassen einer Stadt, eines Partners, einer Zeit, eines Körpers. Dem Verlassen der Realität. Und vom wieder-auftauchen: aus der Menge, aus einem Buch, aus der Vergangenheit, der Bibliothek, der Zukunft, dem Haus, dem Traum und der Sprache.

Das Buch scheint in viele Notizen zu zerfallen, aber es wird immer klarer, dass sie eine horizontale Komposition bilden. Das Buch ist spannend, voll Witz, Erkenntnis, Schwere und Bedrückendem.
Eine eindeutige Leseempfehlung ohne Wenn und Aber!!!