Archiv für den Monat: Juli 2013

Unbegangene Pfade

Something there is that doesn’t love a wall,/ That wants it down.“ I could say ‚Elves‘ to him,/ But it’s not elves exactly, and I’d rather/ He said it for himself. I see him there (Aus dem Gedicht „Mending Wall“)
Die Gedichte von Robert Frost sind mal kurz und erhellend wie Aphorismen, mal lang, pointiert und entlarvend wie Kurzgeschichten.
Berühmt ist etwa das knappe Gedicht Fire and Ice, in dem in neun knappen Versen Humor, scharfsichtige Analyse des Menschen und eine Anklingende Warnung zusammenkommen.
Mich beeindruckt immer wieder die Mischung aus heiterer Phantasie, Träumerei, Nüchternheit und scharfer Analyse. Das alles gefasst in eine schwungvolle Sprache mit vollendeten Reimen.
Die im C.H.Beck Verlag erschienene Ausgabe „Promises to keep – Gedichte/Poems“ versammelt eine große Auswahl von Gedichten aus allen Lebensphasen des bedeutenden amerikanischen Dichters. Es ist ein schön gestaltetes Taschenbuch mit den Originaltexten und sehr gelungenen – gereimten! – Übersetzungen der Gedichte ins deutsche. So werden die Gedichte auch Lesern erschlossen, die weniger gut Englisch sprechen. Aber auch für manchen der im Englischen zuhause ist,  ist die Übersetzung eine willkommene Verständnishilfe, etwa bei umgangssprachlichen Formulierungen die heute nicht mehr geläufig sind.
Zwei Neuentdeckte Lieblinge von Robert Frost waren für mich „Mending Wall – Mauern Ausbessern“ und „The Telephone“, diese beiden habe ich illustriert.
Someone said ‚Come‘ – I heard it as I bowed.“// „I may have thought as much, but not aloud.“// „Well, so I came.“(Aus dem Gedicht „The Telephone“

Eine fünfpfotige Leseempfehlung für diesen tollen Band!!!
 

Der Rhytmus der Sprache – Kinderreime

Zwei wundervolle Büchlein sind diesen Monat bei DTV in der Reihe „dtv zweisprachig“ erschienen: „Filastrocche – Italienische Kinderreime“ und „Cocuk tekerlemeleri – Türkische Kinderreime“.
Die Kinderreime sind sehr gut übersetzt und geradezu kongenial illustriert. Besonders geeignet scheinen sie mir für Eltern die ihr Kind zweisprachig aufwachsen lassen oder multikulturelle Paare. So kann ein Schatz aus der eigenen Kindheit auf einzigartige Weise geteilt werden.


Auch für Andere, die mit ihrem Kind in die Reichhaltigkeit der türkischen oder italienischen Sprache eintauchen möchte, sind die Bände eine Verlockung: Nichts prägt sich so gut ein wie reimende Sprüche und Lieder.

Einige Sprüche im türkischen Band wirken grausam, so wie viele Kinderreime weltweit, hier wäre eine Erklärung im Nachwort wünschenswert gewesen, damit man die Bedeutung einordnen kann. 
Leider fehlt der Klang, wenn man keinen Muttersprachler zur Verfügung hat…läge eine CD bei, ich würde sie abspielen und mit meinem Kind die Verse nachsprechen, so kann ich mich „nur“ an der Sprache und den Bildern erfreuen. Ich werde nun also mal meine italienischen und türkischen Freunde bitten mir die Verse aufzunehmen…vielleicht erscheint ja auch noch das passende Hörbuch bei dtv?

Eine viereinhalbpfotige Leseempfehlung für diese Buch-Kultur-Schätze!

Frühlingswind

Eine Beziehung ist oft hundertmal starrsinniger als der starsinnigste Charakter.  Der Andere, der einem zugehörig ist, scheint hundertfach bekannt, die Begegnung mit ihm wie ein Spiel, das immer wieder in die Gleiche Richtung schwingt, an den gleichen Grenzen scheitert, ins Leere läuft und erstarrt. Die Blicke und Gesten, die Ansichten des Anderen beleuchten gewisse Aspekte besonders grell, während andere daneben im Schatten verschwinden.
Auch wenn die Treue nicht gehalten wird, so bleibt sich das Bild des altbekannten Partners gleich.
Hiromi Kawakami beschreibt in ihrem wunderbaren Roman „Bis nächstes Jahr im Frühling“ eine Beziehung am Ende.
Doch dieses Ende, ein aufgeflogener Seitensprung, ist erst der Anfang.
Es ist der Anfang einer Selbsterkundung die sich von der vormals so festgefügten Rolle und ihrem Alltag löst. In dieser Erkundung, diesem frischen Blick, wandelt sich die ganze Welt.
Noyuri lässt sich Zeit mit ihrer Entscheidung,  Zeit sie selbst zu werden. Und niemand kann wissen, was dann geschieht.
Eine fünfpfotige Leseempfehlung für dieses spannende, klar geschriebene Buch!!!

Sommerliche Vielfalt

Mit ihr, das weiß ich, wäre ich ein anderer Mensch
Der Diogenes Verlag hat ein Taschenbuch zum Sommer herausgebracht, ein Buch für den Strand, ja, aber eines voll Literatur! Zwölf Kurzgeschichten, ein Gedicht, 13 Autoren in einem hübschen Taschenbuch. Das gemeinsame Thema ist der Sommer, der so vielfältig sein kann. Er ist Schauplatz einer Familienkrise, einer Ehekomödie, einer Südseeromanze, einer Novelle, einer Groteske in großer Hitze, endlosen Regenwetters, philosophischer Betrachtungen, bewegender Entdeckungen, moralischen Ringens, Reisens, Umziehens und natürlich Lesens! 
Meine Lieblingstexte aus diesem Band, für die sich der Erwerb schon allein lohnt, möchte ich noch näher vorstellen, gefallen haben mir aber auch „Huber spannt aus“ von Martin Suter, „Der Riffpirat“ von F.Scott Fitzgerald und „Wandertage in Südfrankreich“ von Kurt Tucholsky. Enttäuschend fand ich hingegen den etwas altväterlichen Text von Stefan Zweig sowie die moralinsaure Erzählung von Bernhard Schlink.
Der Text „Bin ich schön?“ von Dorris Dörrie erzählt treffend von der Suche nach Identität in einer Welt der Oberflächlichkeit. Eine Mutter, die dem Schönheitsideal schon lange nicht mehr entsprechen kann fühlt sich austauschbar durch jene, deren Bäuche und Schenkel noch straff sind. Sie strebt nach Perfektion und angesichts eines Erbes eröffnen sich scheinbar unendliche Möglichkeiten, die ihr das Verweilen bei etwas erschweren. Sie scheint bewegt von einer tiefen Unsicherheit und Melancholie, die ihre Kinder und ihr Mann nicht besänftigen können. Die Tochter möchte erwachsen sein, und die exclusiven, modischen Bitex Sonnenbrillen werden ihr zum Herzenswunsch, den die Mutter nicht erfüllen möchte, weil er aus der Werbung kommt. So wird der Wunsch nach der Sonnenbrille zum Angelpunkt um den herum sich das entwachsen der Tochter in die bedrückende Gewißheit der Warenwelt hinein entfaltet. Eine hervorragende Erzählung. 
Eine Entdeckung war für mich die Autorin Zsuzsa Bánk, die mit der Erzählung „Heißester Sommer“ in diesem Band vertreten ist. Die Geschichte über eine Familie, die auf den Spuren der Vergangenheit zu einem einsam gelegenen Bauernhof fährt ist atmosphärisch und poetisch und macht Lust auf mehr!
Der Text „In der Sonne“ von Walter Benjamin begleitet einen Spaziergänger, der in der Hitze des Tages über eine Insel läuft. Er versucht die Umgebung zu erfassen, er denkt zunächst an die Bezeichungen der Pflanzen und Tiere, die er nicht kennt. Dann scheint ihm das Summen einer Hummel die Botschaft des Sommers zu enthalten. Schließlich legt sich die eigene Phantasie über die Landschaft, gibt ihr Bedeutung, „nichts bleibt und nichts verschwindet“, alles ist wie zuvor, nur ein wenig anders.
Die Erzählung „Wie Zugvögel“ von Tim Krohn beschreibt ein junges Paar, dass auf das Land gezogen ist. Der Sommer lässt ihnen ihr Haus als Paradies erscheinen, doch der Herbst stellt ihre wechselhaften Gefühle auf die Probe und lässt eine Sehnsucht auf das Weiterziehen aufkommen.
Italo Calvino beschreibt in der Erzählung „Abenteuer eines Lesers“ genial und humorvoll die Freuden und die Widersprüche in die sich der begeisterte Leser verwickeln kann. Ein junger Mann fährt an die See, um zu lesen. Die angenehme Umgebung, die er in den Lesepausen genießt ist der Hintergrund für sein Abtauchen in die Literatur. Er ist entspannt und glücklich. Dann jedoch kommt Spannung in den Urlaub, und die Realität fordert ihn auf den Blick vom Buch zu heben…wird es ihm gelingen? 
Eine dreipfotige Leseempfehlung und vier Sterne für diesen Band! 

Träume und Geschichten die verwandeln

Als Vogel könnte sie zur Schwester zurück und sich wieder in ein Mädchen verwandeln – schließlich verwandelt sie sich jedoch in eine mutige Frau.
Die 13 jährige Emma wird von ihren Eltern in ein Kloster-Internat gebracht. Die Eltern sind Atheisten, aber Emmas große Schwester ist plötzlich  krank geworden und es ist die einzige Möglichkeit.
Emma ist ein kluges Mädchen, behütet aufgewachsen. Entsprechend dem Zeitgeist im Jahre 1961 wurde sie nicht aufgklärt, ist in der Sprache der Nonnen:unschuldig. Die Regeln im Kloster sind streng und körperfeindlich, das Essen schmeckt schal, muss aber gegessen werden. Briefe nach Hause werden zensiert.
 Emma kennt sich in der Welt der Religiösität mit ihren Gebeten, Heiligengeschichten und (Aber-)gläubigen Regeln (Bei Zwein ist der Teufel dabei) nicht aus. Sie bewegt sich dort zunächst ebenso naiv wie in der geheimen Welt der Schülerinnen.
Sieben Mädchen treffen sich jede Nacht in einer Besenkammer, spielen verbotene Spiele, singen verbotene Lieder und erzählen verbotene Geschichten.
Mit der Zeit jedoch erfährt Emma ausgerechnet in jenem so abgeschotteten und strengen Internat mehr über das Leben als sie Zuhause je gelernt hatte.
Emma ist eine Träumerin, so bewahrt und lebt sie ihre Wünsche und Gedanken, findet Trost in der Ausweglosigkeit. So träumt sie davon sich in eine Taube zu verwandeln und zu ihrer Schwester zurückzukehren.
Immer mehr erkennt sie, dass sie dieses Innere nach außen tragen muss um etwas zu bewirken.
Sie entscheidet sich für ihre Gedanken und Ansichten einzustehen.
Der Roman ‚Unbewohntes Herz‚ von Marita de Sterck ist ein schönes Jugendbuch, aber auch für Erwachsene eine lohnende Lektüre. Das Buch ist schön geschrieben, phantasie und humorvoll.
Eine viereinhalbpfotige Leseempfehlung!