Archiv für den Monat: August 2013

So ein Satz hält einen am Leben

Herta Müller erzählt in diesem Roman von Deportationen, von Zwangsarbeit, Hunger und Tod. Und sie erzählt von der Macht der Worte, Kraft zu geben und zu verwandeln. Sie schreibt Geschichte mit diesem wichtigen Roman, berichtet von Ereignissen die bisher verschwiegen wurden. Die Grundlage waren insbesondere Zeugenberichte des Dichters Oskar Pastior. In Herta Müllers Sprache wird der Schrecken sichtbar gemacht, dem Tabu entrissen und gleichzeitig gebannt. So überwiegt beim Lesen das Gefühl des Glücks, dass dieses wichtige Buch geschrieben wurde. Und dass man es lesen darf. 

Rumänien stand in den Jahren des Weltkrieges zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion. Als der Krieg zwischen beiden begann kämpfte das Land bis zum Sommer 1944 auf deutscher Seite. Als die Rote Armee einrückte, stürzten Oppositionelle den Diktator und lieferten ihn an die Sowjetunion aus. Fortan kämpfte Rumänien auf sowjetischer Seite.
Nach dem zweiten Weltkrieg foderte die Sowjetunion von der rumänischen Regierung alle Deutschen die im Land lebten zur Zwangsarbeit an. Alle Männer und Frauen zwischen 17 und 45 Jahren wurden in Arbeitslager deportiert. 
Da die faschistische Zeit Rumäniens ein Tabuthema war, wurde über diese Deportierungen nicht gesprochen.
Ein junger Mann wird in der Nacht abgeholt. Vor dem Wort „Lager“ hat er keine Angst, es bedeutet ihm nichts. Er ist froh aus der Enge seiner Familie herauszukommen. Aus der Enge der bigotten Gesellschaft herauszukommen, in der er das, was ihn ausmacht, in sich einschließen, in seinem Inneren mit sich selbst verhandeln muss.

Fünf Jahre lang erlebt er die Fürchterlichkeiten der Deportation, des Lagerlebens, der Zwangsarbeit und des Hungers. 
In seinem Kopf fasst er das Grauen in Worte und Gedanken, die sich mit seinem Tun und Sein verbinden und die ihm helfen beim überleben. Der Hunger ist der Hungerengel, vor dem er sich schützen muss. Die Schaufel zum Kohleschaufeln die Herzschaufel mit der ein kraftschonender Rhytmus gelingen kann. Im Kohlenkeller wird jede Schicht mit ihren Abläufen für ihn und seinen Kollegen zum Kunstwerk.
Die Erfarungen des Lagers, es sind Erfahrungen die niemand vergessen kann, die sich einprägen in die Persönlichkeit: „Immer mehr streckt sich das Lager vom Schläfenareal links zum Schläfenareal rechts.“ (S.294) Diese Erfahrungen nachzuvollziehen, ist unverzichtbar. Mit Herta Müllers Buch „Atemschaukel“ gelingt es. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Der Tod des Schtetls

In Osteuropa, in einem Grenzgebiet zwischen Polen Weißrussland Litauen der Ukraine und der UdSSR, der sogenannten Kresy lebten etwa 1,3 Millionen Juden in kleinen Gemeinden, den Schtetlech.
Durch die Shoah wurden diese Gemeinden zerstört und 98% der Juden ermordet. Nur ca 2% überlebten die Massenmorde und den Krieg. Yehuda Bauer erschließt mit seinem Buch „Der Tod des Schtetls“ die Geschichte dieser Gemeinden von den 30er Jahren bis zu ihrer Vernichtung.
Unweigerlich dachte ich des öfteren an Jonathan Safran Foers Buch/die Verfilmung „Alles ist erleuchtet“. Hier findet die Hauptfigur auf der Suche nach der Retterin seines Vaters nach einer langen Reise durch die wunderschöne Landschaft der Ukraine nur noch einen Gedenkstein im hohen Gras. Und eine Überlebende, die alles was von den Menschen des Schtetls geblieben war in ihrem Haus aufbewahrte.
Yehuda Bauer beschreibt das Leben in den Schtetlech analytisch. Die große Besonderheit in der Lebensweise lag darin, dass die Juden hier zunächst, trotz erheblich weit verbreitetem Antisemitismus ihrer Nachbarn ein Gemeindeleben nach jüdischer Tradition führen konnten.
Nachdem die Kresy von der UdSSR besetzt worden war, wurden die jüdischen Organisationen, wie auch alle anderen nicht kommunistischen, verboten und das traditionelle Gemeindeleben erlosch, gerade auch weil die egalitäre Ideologie die Benachteiligung der Juden aufhob und ihnen den Weg zu höherer Bildung und Berufen eröffnete.
Viele Juden wurden deportiert, etwa weil sie der Mittelschicht angehörten oder antisowjetischen Verhaltens bezichtigt wurden. Diese grausamen Maßnahmen retteten letztlich vielen von ihnen das Leben, denn 1941 wurde die Kresy von den Deutschen besetzt.
Das Buch gibt tiefe Einblicke in das Geschehene, anhand vieler Quellen: Studien anderer Historiker, teilweise nicht ins englische übersetzte Aufzeichnungen, Zeugenberichte, Erinnerungsbücher, Tagebücher, Quellen des Yad Vashem Archiv der Gerechten unter den Völkern das Nicht-Juden ehrt die Juden ohne Gegenleistung schützen oder retteten. Viele Berichte über die heldenhaften wenigen Retter aus der Region werden wiedergegeben.
Wie die Juden in den Schtetlech mit der Bedrohung umgingen, bevor und nachdem sie erfahren hatten, dass ihre Ermordung geplant war, wie sie Amida, unbewaffneten Widerstand, und bewaffneten Widerstand organisierten, wie manche überlebten und warum die meisten ihrer Ermordung nicht entkommen konnten erschüttert zutiefst.
In der weitgehend antisemitischen Nachbarschaft, in der neben den deutschen Mördern auch Nachbarn, undisziplinierte Partisanen und nationalistische Kämpfer die Juden töteten und ohne realistische Fluchtmöglichkeit in andere Länder hatten die Juden kaum eine Überlebenschance.
Trotz der Aufstände und der Massenfluchten in die zahlreichen undurchdringlichen Wälder, trotz der vielen Juden die angesichts der universellen Bedrohung heldenhaft handelten, sich mit kalten und Feuerwaffen zur Wehr setzten, Familienlager im Wald errichteten, Partisaneneinheiten aufbauten überlebten nur wenige Prozent der Geflüchteten.
Yehuda Bauer zeigt, dass die Nazis für ihre Planung und Durchführung der Vernichtung der Juden wirtschaftliche und selbst kriegswichtige Erwägungen  hintanstehen ließen.
Und er zeigt, dass vor allem das Sowjet-Regime, das zu jener Zeit Antisemitismus untersagte, die wenigen Juden die bis zur Ankunft der Partisanen und schließlich der Armee noch lebten, rettete.
Ein wichtiges Buch voller erschütternder Erkenntnisse, das einen wichtigen Teil der Geschichte zugänglich macht und dessen Lektüre ich uneingeschränkt empfehle!!!

Die kleine feine Buchhandlung : Meine Lieblingsbuchhandlung in Kiel

Es gibt sie noch, kleine feine Buchhandlungen in denen man besondere Bücher entdecken kann und auf Wunsch Beratung bekommt. 
Und kostenlose Overnight-Lieferung ist auch inklusive. Statt Altpapier wegzubringen und Dhl zu verpassen geht man einfach um die Ecke und holt sich sein Buch!
Ich möchte hier immer wieder besonders empfehlenswerte Buchhandlungen vorstellen, los geht es mit Zapata Am Wilhelmplatz in Kiel.
Die Buchhandlung ist gut sortiert mit  Romanen, Lyrik, Philosophie, Politik,feministischer Literatur und Sachbüchern.
Statt einer nervigen Non-Book Abteilung die zu Nörgeln an der Kasse führt gibt es  eine schöne Kinderecke zur Beschäftigung der Kleinen.
Man wird freundlich begrüßt und kann dann in Ruhe stöbern oder sich Beraten lassen.
Hier kann man noch Bücher entdecken…
Eine fünfpfotige Empfehlung für alle Leser! Hier geht es zur Homepage: Zapata
Blick in eines der gut sortierten Bücherregale…

Der Windelsamurai – Kawaii

Eine unterhaltsame Lektüre mit großem Wissensgewinn. Dieses Buch ist kein literarisches Meisterwerk. Doch es ist gut geschrieben, unterhaltsam zu lesen, und man erfährt so einiges was man in Japans großartiger Literatur, siehe Harumi Murakami oder Hiromi Kawakami bisher nicht erfahren hat. Denn hier erzählt keine Japanerin, sondern eine nach Japan Ausgewanderte.
Susanne Steffen lebt mit ihrem Mann Ryunosuke, einem Angestellten im Rathaus, in einer winzigen Wohnung in Tokyo. Sie ist selbstständig, und als sie schwanger wird beschließt ihr Mann Ryunosuke den neu eingeführten Erziehungsurlaub für Väter zu nehmen, damit sie weiterhin arbeiten kann.
Sein Chef genehmigt ihm sogleich eine ganze Woche… wie daraus letztlich drei Jahre werden, liest man mit viel Lachen und in einem durch.
Dieser Blick aus einer anderen Kultur heraus sieht Besonderes, wo Japaner Selbstverständlichkeiten sehen. Manchmal schrammt das Buch hart an Klischees und dem Stil von Dokumentationen a la ‚So skurril ist Japan‘, andererseits werden gerade diese Sichtweisen aufs Korn genommen bis nur noch das Fünkchen Wahrheit davon übrig bleibt.
Man erfährt spannende Details über Japanisches Familienleben, die Sprache, Bestattungssitten, Shintoismus und Buddhismus und die Ahnenpflege. Außerdem geht es um interkulturell gültige Probleme der neuen, coolen Väter.
Und um Konflikstrategien wie etwa das Tana-age, Ryunosuke’s bewährtes aussitzen statt ausdiskutieren.
Besonders berührt hat mich auch der enthaltene Bericht über die große Katastrophe in Japan, das Erdbeben, den Tsunami und Reaktorzusammenbruch in Fukushima.
Eine viereinhalbpfotige Leseempfehlung!!!

Peter Pan – Dunkle Reise zum phantastischen Traumland

Peter Pan habe ich als Kind nie in der Originalfassung gelesen. Ich kannte nur den Disney Film und vielleicht ein Buch zu diesem Film. Vermutlich liegt es daran, dass die Geschichte mich nicht sehr beeindruckt hat. Der Plot war faszinierend, doch die Details der Geschichte weniger.
Wie anders ging es mir jetzt mit dem wunderschön ausgestatteten Band, der im ellermann Verlag (Oetinger) erschienen ist. Der exzellent übersetzte Originaltext ist vielschichtig, humorvoll, phantasievoll aber auch unheimlich und düster. Die Illustrationen von Peter Uchnár unterstreichen dieses unheimliche, wilde und phantastische. Sie sind mit viel dunklen Farben und wilden Strichen gemalt und damit meilenweit von Disney Bildern entfernt. Ebenso wie der Text transportieren sie das Vielschichtige der Geschichte.
Ein Hund ist das Kindermädchen der armen Eltern, die nur so mit dem Standard der Nachbarschaft mithalten können. Auf dem Mund der Mutter ist ein Kuss zu sehen, den aber niemand bekommt. Und alle ahnen, dass sie erwachsen werden müssen und was daran unangenehm ist und was schön.
Peter Pan und seine Welt sind eine Verlockung. Ich gebe eine fünfpfotige Lese- und Vorleseempfehlung für den Band!