Archiv für den Monat: September 2013

Der Gegner ist der Krieg…

Drei Mädchen leben in einem israelischen Dorf. Es liegt abgelegen an der Grenze. Hier gibt es einen Handymasten, ein letztes Münztelefon, einen Videoautomaten und eine kleine Schule.
Der Enge der Dorfgemeinschaft steht die Weite der Landschaft entgegen.
Nach dem Schulabschluss werden Avishag, Lea und Yael eingezogen. Eingezogen in eine Armee, die Frauen möglichst aus der Gefahrenzone heraushält, ihren Dienst jedoch mit Strenge überwacht.
Eine der jungen Frauen muss acht Stunden lang auf Bildschirme starren, eine andere auf einen Zaun.
Jede der Frauen hat etwas zu sagen, aber es ergibt sich dazu nur wenig Gelegenheit.
Die Armee will nichts von ihnen, außer der exakten Ausfüllung der Position, in die sie gestellt wurden, so wiedersinnig das auch sein mag.
Sie verbringen viel Zeit mit Warten, mit Schauen, mit gleichförmigem Tun. Immer wieder stellt sich ihnen die Frage nach dem Sinn ihrer Handlungen.
Eine Antwort ist die Schönheit der Landschaft, das pulsierende Leben der Städte, die Tiefe ihrer Freundschaften.
Obgleich sie von Kriegsschauplätzen weit entfernt sind, erlebt jede von ihnen Grauen. Das Grauen zu genau beachteter Vorschriften ebenso wie das Grauen des Unplanbaren.
Sie sehen an den  Grenzanlagen Flüchtlinge sterben und müssen mitmachen, wenn Menschenhändler mit gültigen Pässen durchgewunken werden.
Die Autorin zeigt geschickt und eindringlich die Widersprüche und Absurditäten institutioneller Abläufe. Die Armee ist notwendig. um Israel zu schützen. Gleichzeitig scheint sie ebenso wie der Konflikt an sich, ein Eigenleben zu führen. Die Einzelnen werden auf beiden Seiten einem unmenschlichen, rationalisierenden Rahmen unterworfen. Dieser richtet sich oftmals gegen das Wollen der Einzelnen.

Das Buch „Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst“ zeigt Israel aus einer bisher weitgehend ungekannten Perspektive. Das ist enorm bereichernd und verdient eine viereinhalbpfotige Leseempfehlung mit fünf Sternen! Die lebendige eindringliche Prosa von Shani Boianjiu ist beeindruckend und sehr lesenswert!

Literatur in Düsseldorf – Eine ganz besondere Buchhandlung

Am Geburtsort Heinrich Heines in Düsseldorf befindet sich ein Juwel unter den Buchhandlungen. Das Heine Haus an der Bolkerstraße 53. In schöner Atmosphäre mit einer großartigen Auswahl zu Literatur aus aller Welt, besonderen Kinderbüchern, Philosophie und Kunst.
Und mit großen Veranstaltungsraum, in dem immer wieder spannende Lesungen stattfinden. Wer einen Blick in das Programm des Vormonats wirft wird sehen, dass er mindestens zwei Veranstaltungen verpasst hat…
Sogar ein dreitägiges Poesie Fest wird seit einigen Jahren veranstaltet – diesen September sprach unter anderem Peter Handke über die Lyrik und die Kunst des Übersetzens.
Statt sich durch Seiten zu klicken kann man hier in Büchern Blättern und Autoren hautnah erleben.

Gestern sah ich eine Lesung von Hannah Dübgen, die mit ihrem Debüt „Strom“ einen spannenden Roman über die Gegenwart geschrieben hat.

Also: besucht das Heine Haus in Düsseldorf, es lohnt sich immer!

Gemütlich zwischen Büchern…
Raum für Lesungen…
Eine fünfpfotige Empfehlung für alle Leser!

 

Warum wir nicht mehr zusammen sind

MinandEd

Min schreibt an Ed einen Brief. Einen Brief, der es ebenso in sich hat, wie die Kiste die er bekommt.
Es ist eine Kiste voll mit kleinen Schätzen ihres Zusammenseins.

Vor dem Leser entfaltet sich eine Liebesgeschichte, zart, phantasievoll und mit viel Witz. Hier passiert etwas besonderes, und doch sind es die Glücksmomente, Widersprüche und Enttäuschungen die man aus eigenen Erfahrungen kennt.

Der englische Text hat eine phantasievolle, knappe und schnoddrige Sprache. In der deutschen Übersetzung wird das nicht ganz transportiert werden können, das lesen lohnt sich dennoch!

Das Buch wurde meisterhaft geschrieben von Daniel Handler, der Inhalt der Box kongenial illustriert von Maira Kalman. In ihren Bildern scheinen die Gegenstände zu atmen. Das macht insgesamt: Ein Buchkunstwerk das eine viereinhalbpfotige Leseempfehlung mit fünf Sternen verdient!

Vom Kommunismus zur Kommune ist es ein weiter Weg…

Kathrin Aehnlich beschreibt in ihrem Roman „Wenn die Wale an Land gehen“ zwei Phasen des Aufbruchs im Leben einer phantasievollen Frau.
Roswitha, manchmal auch Rose genannt, fliegt nach New York, auf der Suche nach ihrer Jugendliebe „Mick“. Da sie  nur eine mehrere Jahre alte Adresse zum Anhaltspunkt hat, ist ungewiss ob sie Mick finden kann. Was sie findet und entdeckt ist das Land, von dem Mick immer geträumt hat, damals in der DDR: Amerika, das Land in dem alle Bücher und Platten erhältlich sind, das Land des Rock and Roll. Sie trifft auf eine kleine Gemeinschaft, Freunde von Mick, die sich am Rande, in den Freiräumen der Gesellschaft eingerichtet hat.
Gestrandeter Wal – gestrandete Frau?
Sie denkt immer wieder zurück an die gemeinsame Jugend. An die Studienzeit in Leipzig, in der sie dem bedrückend spießigen Heimatort entkommt, die Zeit der Freiheit und Unbeschwertheit, die Freundschaft mit „Mick“, mit „Frau Pulver“ und mit „Zappa“.
Die fünf bauen sich eine Welt aus Kreativität, Genuss und Verbundenheit auf. Sie sitzen in Cafes, stöbern in Buchhandlungen, ergattern beliebte Platten, reden, feiern.
Paradoxerweise hatte Mick davon geträumt, dass sie alle in Amerika in einer Kommune leben sollten. In der spießigen DDR Realität müssen die Freunde in ihre Kinderzimmer zurück ziehen.
Sie treten ein in die Arbeitswelt, in die sie nicht hineinpassen, stoßen an allen Enden an die Ideologie, werden voneinander getrennt und machen Bekanntschaft mit der zersetzenden Macht von Spitzeln.

Es sind die letzten Jahre der DDR, doch ihnen erscheinen sie wie eine bleierne Ewigkeit aus der sie fliehen möchten.

Der Roman ist spannend und mit viel Witz und Leichtigkeit erzählt. Zugleich gelingt es der Autorin die Gewalt eines ideologischen Systems über das Leben Einzelner erschreckend deutlich zu machen.
Eine viereinhalbpfotige Leseempfehlung mit fünf Sternen für dieses Buch, das im Kunstmann Verlag in beglückend schöner Austattung erschienen ist.

Von der Achtlosigkeit

Viviane Elisabeth Fauville – eine Frau Mitte Vierzig, Mutter einer kleinen Tochter, geschieden von einem Mann, der sie mit ihrer jungen Kollegin betrogen und dann verlassen hat.
Sie war sich ihrer Selbst nie gewiss und selbst dieses bisschen Gewissheit ist nun dahin, dahin bis auf die Fähigkeit, sich um das basal Notwendige zu kümmern. Um das Notwendige für ihre Tochter, ihre kleine Tochter, die mit ihr so zufrieden ist, dass sie es kaum glauben kann. Manchmal erscheint es ihr, als wäre das Kind die Mutter.  
Sie hat einen Nervenzusammenbruch, doch niemand kümmert sich um sie, auch der Psychiater scheint vielmehr gelangweilt, provoziert sie, nimmt sie nicht ernst. Er ist so achtlos ihr gegenüber, ahnt wie die meisten nicht, was in ihr steckt, und dann ist er tot.
Der Leser wird von Julia Deck hineingezogen in die Beklemmung und Verzweiflung dieser Frau. Ein spannendes Buch, ein Krimi, der vor allem von der Achtlosigkeit handelt.

This is…London!

 
Inmitten des Illustrationstrends zur betonten Hässlichkeit stechen Alte Meister der Illustration wohltuhend hervor. 
Der Kunstmann Verlag legt eine Serie von Mirsolav Sasek wieder auf. In fein gezeichneten, ansprechend colorierten Lithographien trifft er das Lebensgefühl der dargestellten Städte ausnehmend zeitlos. Hier lernt der Leser durch prachtvolle Bilder und kurze Texte mehr als in manchem Reiseführer.
Neu erschienen ist im August der Band zu London. Die Bilder aus den fünfziger Jahren zeigen das Herz von London in allen Facetten. Berühmte Gebäude wie den St. James‘ Palace und die Tower Bridge. Berühmte Plätze und Straßen wie Piccadilly Circus, Threadneedle Street und Trafalgar Square. Echte londoner Gestalten wie den Bobby, die Palastwache den Fischträger und den Straßenkehrer. Dies und noch viel mehr lässt das Herz des Betrachters höher schlagen. Meine Lieblingsbilder aus dem Band sind die über die londoner U-Bahn.
Abgerundet wird der hochwertig gestaltete Band durch ein Register mit aktuellen Informationen über alles, das sich geändert hat.
Eine fünfpfotige Leseempfehlung!

Glück oder Freiheit

China im Jahr 2013. Inmitten einer weltweiten Wirtschaftskrise blühen Handel und Zufriedenheit im riesigen Reich. In den Megacities, den Kleinstädten und auf dem Land herrschen Wohlstand und Zufriedenheit wie nie zuvor. Doch es gibt Abgründe inmitten der glänzenden Gegenwart: Warum sind die Menschen plötzlich so glücklich? Warum haben sie scheinbar alle einen ganzen Monat vergessen? Ein  alternder Schriftsteller trifft unverhofft eine Frau aus der Vergangenheit und verliebt sich in sie. Doch sie verschwindet.
Die fetten Jahre“ schreibt die Geschichte eines utopischen Chinas, in dem viele Potentiale sich verwirklicht haben. Aber wie auch in der übrigen Welt stehen beim Versuch, die Geschicke von Wirtschaft und Politik zu lenken, die Rechte des Einzelnen zur Disposition.
Soll man sich im falschen Paradies um sein eigenes Glück kümmern? Oder soll man alles riskieren, um das Unrecht, das „für das Allgemeinwohl“ begangen wird aufzudecken?
Chan Koonchung hat ein spannendes Buch geschrieben, das Einblicke in die chinesische Geschichte und Gedankenwelt bietet. Es ist jedoch kein klassischer Roman, die Handlung dient vielmehr dem Zusammenhalt wirtschaftlicher sowie philosophischer und moralischer Überlegungen. Ich empfehle das Buch mit vier Pfoten, es ist spannend und lohnenswert! Leider gibt es auch einige Vereinfachungen und etwas Schwarzweißmalerei.