Schlagwort-Archive: Hatje Cantz Verlag

Presence

presence

Presence ist ein Buch, das man keinesfalls von vorne nach hinten durchsehen sollte. Zunächst empfehle ich einige der großformatigen Schwarzweißbilder zu betrachten. Danach vielleicht eine Pause machen. Dann wieder einige ansehen. Dann vielleicht ans Ende des Buches gehen und zu der kleinen Übersicht blättern, auf der die Porträts noch einmal klein abgedruckt ist, und lesen wem man darauf begegnet ist. Dann wieder einige Porträts betrachten. Nach einiger Zeit kann man dann auch den Text von Christine Turnauer oder Frank Horvat lesen. Dann wieder in den Bildern versinken. Und sich freuen, dass es so viele faszinierende Menschen gibt die man kennenlernen könnte.

 

Eine vierpfotige Empfehlung für diesen wundervollen Bildband!

4 w pfoten

Der Weihnachtsmann empfiehlt

weihnachtsmann

Das Fest kommt näher und näher, die Lieferzeiten werden länger und länger, die Kaufhäuser voller und voller und die Zeit knapper und knapper. Aber es gibt Läden mit großer Auswahl, die noch dazu innerhalb eines Tages jegliche nicht vorrätige Geschenkidee bestellen…die Buchhandlungen!

Und für jeden der gerne liest ist ein Buch ein schönes Geschenk. Übrigens auch für die, die gerade lesen lernen. Und auch für alle,  die Vorlesern lauschen.

Welches Buch geeignet ist, ist nicht immer leicht zu entscheiden. Aber die gute Nachricht ist, dass es nicht nur das eine geeignete Buch gibt.

Für die Sinne und die Besinnlichkeit empfehle ich einen tollen Bildband aus dem Hatje Cantz Verlag: Presence. Christine Turnauer hat in beeindruckenden Schwarz/Weiß Aufnahmen berührende Porträts von Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen fotographiert. Das Verbindende, das durch Vertrauen gewonnen wird und alle Unterschiedlichkeit aufhebt macht die Bilder zu einer philosophischen Erfahrung.

Für Jugendliche empfehle ich den Band 1 der Mangareihe No.6, erschienen bei Egmont Manga (EMA). Eine schön gezeichnete und erzählte Geschichte um einen Jungen der zur Elite seiner Gesellschaft gehört. Eines Nachts hilft er einem Fliehenden. Und aus seinem unbestimmten Gefühl, dass mit dieser Gesellschaft etwas nicht stimmt wird Gewissheit.

Für Erstleser empfehle ich die Reihe Büchersterne aus dem Oetinger Verlag. Zur einfachen Ausahl sind die Bände nach Schulalter gestaffelt. Die Texte sind aus der Kinderliteratur bekannter AutorInnen. Die Texte sind altersgerecht mit großer Schrift und einfachem Satzbau abgedruckt. Von Astrid Lindgren gibt es zum Beispiel Michels Unfug Nummer 325 zu lesen.

Die wortgewandte, atemberaubend gut gezeichnete Graphic Novel Fun Home von Alison Bechdel ist meine besondere Empfehlung. Eine Geschichte über die Dynamik von familiären Strukturen. Gesagtes und Ungesagtes, gelebtes und ungelebtes innerhalb dieser entscheidenden Gemeinschaft prägt tief. Wer über liebenswerte Marotten genauso lesen möchte wie über Schmerzen der Seele, über Gender wie über Liebe, über Moral und Tabu wie über sexuelle Identität, der wird aus diesem Buch eine Menge mitnehmen.

Die Schönheit der Vergänglichkeit

narcissus_2Narcissus #2  Lydia Goldblatt  (from: Still Here, Hatje Cantz )

In unserer Gesellschaft gilt das Junge als schön und unschuldig. Das Alter wird ausgeblendet. Dort wo ältere Menschen dargestellt werden, sollen sie fit und vital und sogar jugendlich wirken.

Vergessen ist, dass die Jahre neben dem Alter auch Weisheit bringen könnten.  Ältere haben einen Schatz an Lebenserfahrungen. Und sie stehen in ihrem Leben an einem besonderen Punkt. Allein weil sie dem Lebensende nahe stehen ist ihr Blick auf die Welt und auf ihr eigenes Tun ein ganz anderer als der eines jungen Menschen.

Lydia Goldblatt hat in ihrer Fotoserie mit dem Titel „Still here“ ihre alten Eltern aufgenommen. Die Bilder verkitschen nicht. Krankheit und Schwäche, Zeichen des Alters werden nicht ausgeblendet. Die Bilder zeigen Menschen, die die Spuren ihrer Jahre tragen. Sie sind schön und würdevoll.

Die Vergänglichkeit prägt sich dem Menschen ein und gehört zu ihm. Die Jahre des Lebens führen zu immer neuen Metamorphosen. Aus Angst vor der Vergänglichkeit laufen wir Gefahr ihre Schönheit zu übersehen.

Lydia Goldblatt erinnert uns mit „Still here“ auf eindringliche Weise daran.

Wir sind noch hier, wie der Regen, das Licht auf einem Vorhang oder ein geschätzter Gegenstand. Eine fünfpfotige Empfehlung für diesen wunderschönen Bildband!

5 pfoten copy

Welt in Farbe

mongolei__ulaanbaatar._der_finanzminister_des_unabhaengigen_staats_mongolei_auf_dem_marktplatz__stephane_passet__22._juli_1913
Mongolei, Ulaanbaatar. Der Finanzminister des unabhaengigen Staats Mongolei auf dem Marktplatz, Stéphane Passet, 22. Juli 1913
Musée Albert-Kahn, Frankreich

Schwarzweißfotografie, so sagt man, hat eine besondere Authentizität. Sie gebe die Farben der Welt nicht verfälscht wieder. Ihre Grauabstufungen ermöglichten eine bessere Darstellung des Wesentlichen.

Schwarzweißfotos aus früheren Zeiten jedoch haben einen Mangel. Sie entrücken das Dargestellte. Die Gesichter scheinen uns wie  griechische Mamorfiguren. Die Kleidung  wie die von alten Puppen. Die Fotos sind aus ihrer Zeit, aus ihrem Kontext, in unsere gefallen. Und während ein Zeitgenosse die grauen Schattierungen gleich dem gewohnten Gegenstand hätte zuordnen können gelingt uns das nicht.

Welche Textur eine zusammengeflickte Lumpenhose oder die Herrenstrümpfe des viktorianischen Zeitalters hatten, das können wir nicht ermessen. Und auch in viele Posen und Gesten anderer Zeiten können wir uns nicht hineinversetzen.

Aus all diesen Gründen ist das Buch „Welt in Farbe – Fotografie vor dem Krieg„, erschienen bei Hatje Cantz, eine Entdeckung.

In diesen Fotografien rücken die Menschen plötzlich über die Jahrhunderte hinweg an uns heran. Eine Wiese ist eine Wiese, ein Stoff ein Stoff und ein Gesicht ein Gesicht.

Ganz unmittelbar wird uns die Alltäglichkeit dieser anderen Zeit bewusst. Man atmete keine marmorne Luft und trug keine Puppenkleider.

Diese Fotografien sind ein Schatz der Kulturen. Sie zeigen Menschen aus aller Welt , Fischer, Bauern, Kinder, Mönche, Herrscher einer längst Vergangenen Epoche. Doch ihre traditionelle Kleidung, ihr Handwerk, ihre Umgebung scheint so selbstverständlich wie die des Nachbarn. Die Gesichter so lebendig und vertraut wie die auf Klassenfotos.

Auch heutige Fotografen können von diesen Bildern lernen, die zwar Fremdes zeigen, denen es aber gelingt die Distanz zu diesem Fremden aufzubrechen statt sie zu betonen. Es ist nicht nur die Farbigkeit der Fotos, es ist auch die Intention des Fotografen die entscheidet.

Albert Kahn, ein reicher Banquier förderte Fotografen die und lies „Les Archives de la planète“anlegen um die Völkerverständigung zu fördern.

Ich empfehle das Buch mit fünf Pfoten

5 pfoten copy

Sie.Selbst.Nackt.

selbst_nackt

Im Hatje Cantz Verlag ist ein spannender Kunstband erschienen, der eine gravierende Lücke schließt.

Obschon Künstlerinnen aus aller Welt  sich im Laufe der Zeit immer besser mit ihren Werken durchsetzen und etablieren konnten ist die Kunst- und Ausstellungs- Welt noch immer männlich dominiert.

Die berühmte Frage der „Gorilla Girls“ ob Frauen nackt sein müssen um in ein Museum zu kommen (also als Akt) stellt sich noch immer. Und auch weil ihre Bilder seltener ausgestellt werden fällt es auch fleißigen Museumsbesuchern oft schwer, mehr als drei oder vier Künstlerinnen aufzulisten.

Wie viel auf diese Weise dem Betrachter entgehen kann sieht er im nun vorliegenden Katalog Sie. Selbst. Nackt. Paula Modersohn-Becker und andere Künstlerinnen im Selbstakt 

Viele Geschichten sind in der Kunst noch nicht erzählt, und viel gibt es bei den Künstlerinnen zu entdecken. Denn sie beleuchten den Status Quo kritisch und aus neuen Blickwinkeln.

Nun werden faszinierende Künstlerinnen ab 1900 bis zur Gegenwart vorgestellt die sich Selbst nackt malten.

Erzählt wird außerdem die Geschichte der weiblich-künstlerischen Emanzipation, die mit der Darstellung nackter Frauen eng verbunden ist. 

Akademien schlossen Frauen als Studentinnen lange Zeit aus.  Das Bild der nackten Frau war somit männlich dominiert. Frauen wurden zumeist als Objekte, Akte ohne Gesicht dargestellt. Auch menschen verachtende Praktiken wie Sklavenmärkte oder Menschenhandel wurden für Maler zum unkritischen erotischen Sujet.

Künstlerinnen haben dagegen Sich selbst  nackt dargestellt und somit ihre Persönlichkeit mit ihren Gefühlen und Wünschen nicht ausgeblendet. Wie auch die Selbstakte männlicher Künstler haben diese Darstellungen weit mehr Tiefe als die bloß objektivierende eines gesichtslosen Aktes.

Das Buch überzeugt mit 157 hochwertigen Abbildungen und sehr informativen gut recherchierten  Texten. 

Und es macht Lust auf die Ausstellung, die seit dem 20.10.2013, und noch bis zum 2.2.2014 im Paula Modersohn-Becker Museum gezeigt wird: Sie. Selbst. Nackt. Paula Modersohn-Becker und andere Künstlerinnen im Selbstakt

Eine fünfpfotige Leseempfehlung und fünf Sterne für das hervorragende Werk das den Zugang zu vielen Künstlerinnen eröffnet die man vielleicht vorher noch nicht kannte.

5 pfoten copy

 

Im Musée d‘ Orsay wird übrigens zur Zeit (24 September 2013 bis 2 Januar 2014) eine Ausstellung zur männlichen Nacktheit in der Kunstgeschichte gezeigt. Kritische Stimmen bemängeln, dass hier die Nacktheit als Aufhänger zum  Verkauf fungiert. Ich muss sagen, dass ich den Perspektiv-wechsel so erfrischend finde, dass er erhöhte Aufmerksamkeit verdient. Zugleich wird bewusst, dass der Vermarktung des Nackten nie ganz zu entgehen ist.