Im Roman „Die Schwerelosen“ von Valeria Luiselli wird in kurzen Abschnitten erzählt, die auf den ersten Blick aussehen wie Aphorismen.
Die Abschnitte sind so kurz, weil hier eine Mutter schreibt. Sie schreibt, wenn das Baby schläft. Sie schreibt einen leisen Roman, sie schreibt einen Roman in den wenigen Momenten der Ruhe. Die Form des Buches ist durchdrungen von dieser Mutter und ihrer Familie. Die aphoristischen Textstücke sind verschachtelt wie das Haus, in dem die Familie wohnt, und das die Mutter nie verlässt.
Sie schreibt ein Buch über ihre Zeit als Übersetzerin in einem kleinen Verlag in New York. Die junge Frau lebt am Rande, am Rande ihrer Wohnung, am Rande der Stadt. Sie füllt ihr Leben, ihre Wohnung mit Menschen, mit ihrer Freundin und mit Männern. Doch alles ist in der Schwebe, nichts nimmt eine feste Form an.
Wenn die junge Frau in ihrem roten Mantel durch die Stadt streift sieht sie sich selbst. Unterwegs zu sein, heißt da zu sein.
Eines Tages entdeckt sie in einer Bibliothek Briefe des Dichters Gilberto Owen. Er hatte vor Jahrzehnten nicht weit von ihrer Wohnung entfernt gewohnt. Dieser Dichter fasziniert sie, sie will dass er übersetzt und veröffentlicht wird. In ihr Leben kommt Verbindlichkeit – der Geist des Dichters ist ihr näher als die Lebenden. Manchmal sieht sie ihn in einer parallel fahrenden U-Bahn sitzen.
Wer schreibt, bestimmt das Geschriebene, kann sich in ihm distanzieren, sich verlieren und von der erschaffenen Welt auch bestimmt werden. Die Realität und die Fiktion vermischen sich, mal fruchtbar, mal beschwerend.
Der Ehemann liest immer wieder Textabschnitte seiner schreibenden Frau, liest über ihre Liebschaften, über ihr Innerstes – und die Familie, ja das ganze Haus drohen auseinanderzubrechen.
Vielleicht schriebt auch Gilberto Owen dieses Buch, schreibt in Philadelphia ein Buch über eine Frau, die in Mexiko City in ihr Haus eingeschlossen ist. Auch das Leben des Dichters ist geprägt von dem Gefühl zu verschwinden. Und manchmal sieht er in der UBahn eine junge Frau in rotem Mantel.
Im Roman „Die Schwerelosen“ von Valeria Luiselli eröffnet sich dem Leser das Spannungsfeld zwischen Ungebundenheit und Familie, Fiktion und Realität, Autorschaft und literarischer Figur,
Intellektualität und Körperlichkeit.
Es handelt vom verschwinden: dem Verlassen einer Stadt, eines Partners, einer Zeit, eines Körpers. Dem Verlassen der Realität. Und vom wieder-auftauchen: aus der Menge, aus einem Buch, aus der Vergangenheit, der Bibliothek, der Zukunft, dem Haus, dem Traum und der Sprache.
Das Buch scheint in viele Notizen zu zerfallen, aber es wird immer klarer, dass sie eine horizontale Komposition bilden. Das Buch ist spannend, voll Witz, Erkenntnis, Schwere und Bedrückendem.
Eine eindeutige Leseempfehlung ohne Wenn und Aber!!!