Archiv der Kategorie: Klassiker

Mach dieses Buch fertig!

Wer kennt sie nicht, die vielen Bücher die suggerieren, jeder könne malen, kreativ sein und gleichzeitig Strich-für-Strich Anleitungen anbieten auf deren Grundlage etwa ein kitschiges Kaninchen entsteht.
Von einem ganz anderen Kaliber ist das wunderbare, im Kunstmann Verlag erschienene „Mach dieses Buch fertig„.

machdiesesbuchfertig

Die Künstlerin Keri Smith hat hier eine moderne Kunstauffassung in Buchform gebracht – und zwar nicht zur theoretischen sondern zur praktischen Anwendung.
Dieses Buch gibt auch Anleitungen, aber es sind enthemmende Anleitungen mit viel Raum zur Interpretation. Es sind Anleitungen als Katalysator der Kreativität, sie lassen Raum und sie lassen den Bearbeiter des Buches Raum gewinnen.
Denn durch den allzu vorsichtigen Umgang mit Büchern oder Zeichnungen verpasst man einiges.
Zu reißen, zu schneiden, mit dem Kamm oder den Fingern zu malen: dies alles führt zu einem erweiterten kreativen Repertoire und wunderbaren Bildern.
Noch dazu ist dieses Buch geeignet jeden Buch-Perfektionisten zumindest über die Zurichtung dieses einen Buches froh sein zu lassen.
Dieses Buch bekommt eine fertig-mach-Empfehlung mit fünf Pfoten und wird hiermit als Klassiker des Kreativen ausgezeichnet. Danke Keri Smith, danke Kunstmann!

Art Spiegelman – Maus

 How much of what happened to the Jews did you witness? / As much as the people anywhere. / –

Der Comic „Maus“ von Art Spiegelman zeigt die Geschichte von Vladek Spiegelman, der den Krieg gegen Deutschland und mehrere Lager überlebte.
Vladek und Anja sind ein glückliches polnisches Paar, haben einen Sohn und eine gutgehende Firma. Bald erfahren sie von Pogromen und antijüdischen Gesetzen in Deutschland, dann wird Vladek zum Krieg gegen die Deutschen eingezogen.
Nach einer längeren Zeit der Kriegsgefangenschaft wird er nach Polen zurückgeschickt, doch die Deutschen wollen alle jüdischen Heimkehrer gleich nach der Ankunft im besetzten Teil Polens umbringen lassen. Hier entkommt Vladek Spiegelman der Mordmaschinerie der Nazis durch einen Freund, doch er muss ihr noch viele weitere Male entkommen. Es beginnt eine Geschichte voller Gefahr und Leid. Immer wieder gibt es neue Gesetze, Gewaltakte, Täuschungen, Registrierungen und Liqidationen.
Die Familie versucht auszureisen, im Untergrund zu leben, den Sohn zu retten.
Dieser biographische Comic macht besser als manches Geschichtsbuch deutlich, was die jüdischen Menschen erlebten, wieviele Ungewissheiten und Gefahren sie plötzlich vor sich hatten. Ihre Heimat wurde plötzlich zum Feindesland, ihre Nachbarn ihre Verräter und Mörder.
Die Deutschen wollten keinen Juden entkommen lassen und führten eine Tötungsmaschinerie aus, die ohne Vergleich ist. Oft, so erzählt Vladek seinem Sohn Art, hatten sie einfach nicht glauben können was sie sahen.
Maus ist ein wertvolles Dokument, ein Zeugnis von dem was geschah. Ein Klassiker, der unbedingt gelesen werden sollte.

The comic „Maus“ by  Art Spiegelman shows the story of Vladek Spiegelman who survived the war against germany and several concentration camps.
Vladek ans Anja are a happy polish couple. They’ve got a son and a flourishing company.
But soon they hear about antisemitic laws and pogroms in Germany. Vladek is drafted for the war against Germany.
After beeing a prisoner of war for some time he is sent back to Poland, but the Germans want to kill all jewish prisoners as soon as they are no longer protected by international law. Through a friend Vladek can escape the murderous Nazi scemes, but he has to escape many more times.

This biographical comic is a classic and should be read by anyone who wants to know more than schoolbooks or history channels tell.

This is…London!

 
Inmitten des Illustrationstrends zur betonten Hässlichkeit stechen Alte Meister der Illustration wohltuhend hervor. 
Der Kunstmann Verlag legt eine Serie von Mirsolav Sasek wieder auf. In fein gezeichneten, ansprechend colorierten Lithographien trifft er das Lebensgefühl der dargestellten Städte ausnehmend zeitlos. Hier lernt der Leser durch prachtvolle Bilder und kurze Texte mehr als in manchem Reiseführer.
Neu erschienen ist im August der Band zu London. Die Bilder aus den fünfziger Jahren zeigen das Herz von London in allen Facetten. Berühmte Gebäude wie den St. James‘ Palace und die Tower Bridge. Berühmte Plätze und Straßen wie Piccadilly Circus, Threadneedle Street und Trafalgar Square. Echte londoner Gestalten wie den Bobby, die Palastwache den Fischträger und den Straßenkehrer. Dies und noch viel mehr lässt das Herz des Betrachters höher schlagen. Meine Lieblingsbilder aus dem Band sind die über die londoner U-Bahn.
Abgerundet wird der hochwertig gestaltete Band durch ein Register mit aktuellen Informationen über alles, das sich geändert hat.
Eine fünfpfotige Leseempfehlung!

So ein Satz hält einen am Leben

Herta Müller erzählt in diesem Roman von Deportationen, von Zwangsarbeit, Hunger und Tod. Und sie erzählt von der Macht der Worte, Kraft zu geben und zu verwandeln. Sie schreibt Geschichte mit diesem wichtigen Roman, berichtet von Ereignissen die bisher verschwiegen wurden. Die Grundlage waren insbesondere Zeugenberichte des Dichters Oskar Pastior. In Herta Müllers Sprache wird der Schrecken sichtbar gemacht, dem Tabu entrissen und gleichzeitig gebannt. So überwiegt beim Lesen das Gefühl des Glücks, dass dieses wichtige Buch geschrieben wurde. Und dass man es lesen darf. 

Rumänien stand in den Jahren des Weltkrieges zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion. Als der Krieg zwischen beiden begann kämpfte das Land bis zum Sommer 1944 auf deutscher Seite. Als die Rote Armee einrückte, stürzten Oppositionelle den Diktator und lieferten ihn an die Sowjetunion aus. Fortan kämpfte Rumänien auf sowjetischer Seite.
Nach dem zweiten Weltkrieg foderte die Sowjetunion von der rumänischen Regierung alle Deutschen die im Land lebten zur Zwangsarbeit an. Alle Männer und Frauen zwischen 17 und 45 Jahren wurden in Arbeitslager deportiert. 
Da die faschistische Zeit Rumäniens ein Tabuthema war, wurde über diese Deportierungen nicht gesprochen.
Ein junger Mann wird in der Nacht abgeholt. Vor dem Wort „Lager“ hat er keine Angst, es bedeutet ihm nichts. Er ist froh aus der Enge seiner Familie herauszukommen. Aus der Enge der bigotten Gesellschaft herauszukommen, in der er das, was ihn ausmacht, in sich einschließen, in seinem Inneren mit sich selbst verhandeln muss.

Fünf Jahre lang erlebt er die Fürchterlichkeiten der Deportation, des Lagerlebens, der Zwangsarbeit und des Hungers. 
In seinem Kopf fasst er das Grauen in Worte und Gedanken, die sich mit seinem Tun und Sein verbinden und die ihm helfen beim überleben. Der Hunger ist der Hungerengel, vor dem er sich schützen muss. Die Schaufel zum Kohleschaufeln die Herzschaufel mit der ein kraftschonender Rhytmus gelingen kann. Im Kohlenkeller wird jede Schicht mit ihren Abläufen für ihn und seinen Kollegen zum Kunstwerk.
Die Erfarungen des Lagers, es sind Erfahrungen die niemand vergessen kann, die sich einprägen in die Persönlichkeit: „Immer mehr streckt sich das Lager vom Schläfenareal links zum Schläfenareal rechts.“ (S.294) Diese Erfahrungen nachzuvollziehen, ist unverzichtbar. Mit Herta Müllers Buch „Atemschaukel“ gelingt es. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Peter Pan – Dunkle Reise zum phantastischen Traumland

Peter Pan habe ich als Kind nie in der Originalfassung gelesen. Ich kannte nur den Disney Film und vielleicht ein Buch zu diesem Film. Vermutlich liegt es daran, dass die Geschichte mich nicht sehr beeindruckt hat. Der Plot war faszinierend, doch die Details der Geschichte weniger.
Wie anders ging es mir jetzt mit dem wunderschön ausgestatteten Band, der im ellermann Verlag (Oetinger) erschienen ist. Der exzellent übersetzte Originaltext ist vielschichtig, humorvoll, phantasievoll aber auch unheimlich und düster. Die Illustrationen von Peter Uchnár unterstreichen dieses unheimliche, wilde und phantastische. Sie sind mit viel dunklen Farben und wilden Strichen gemalt und damit meilenweit von Disney Bildern entfernt. Ebenso wie der Text transportieren sie das Vielschichtige der Geschichte.
Ein Hund ist das Kindermädchen der armen Eltern, die nur so mit dem Standard der Nachbarschaft mithalten können. Auf dem Mund der Mutter ist ein Kuss zu sehen, den aber niemand bekommt. Und alle ahnen, dass sie erwachsen werden müssen und was daran unangenehm ist und was schön.
Peter Pan und seine Welt sind eine Verlockung. Ich gebe eine fünfpfotige Lese- und Vorleseempfehlung für den Band!

Unbegangene Pfade

Something there is that doesn’t love a wall,/ That wants it down.“ I could say ‚Elves‘ to him,/ But it’s not elves exactly, and I’d rather/ He said it for himself. I see him there (Aus dem Gedicht „Mending Wall“)
Die Gedichte von Robert Frost sind mal kurz und erhellend wie Aphorismen, mal lang, pointiert und entlarvend wie Kurzgeschichten.
Berühmt ist etwa das knappe Gedicht Fire and Ice, in dem in neun knappen Versen Humor, scharfsichtige Analyse des Menschen und eine Anklingende Warnung zusammenkommen.
Mich beeindruckt immer wieder die Mischung aus heiterer Phantasie, Träumerei, Nüchternheit und scharfer Analyse. Das alles gefasst in eine schwungvolle Sprache mit vollendeten Reimen.
Die im C.H.Beck Verlag erschienene Ausgabe „Promises to keep – Gedichte/Poems“ versammelt eine große Auswahl von Gedichten aus allen Lebensphasen des bedeutenden amerikanischen Dichters. Es ist ein schön gestaltetes Taschenbuch mit den Originaltexten und sehr gelungenen – gereimten! – Übersetzungen der Gedichte ins deutsche. So werden die Gedichte auch Lesern erschlossen, die weniger gut Englisch sprechen. Aber auch für manchen der im Englischen zuhause ist,  ist die Übersetzung eine willkommene Verständnishilfe, etwa bei umgangssprachlichen Formulierungen die heute nicht mehr geläufig sind.
Zwei Neuentdeckte Lieblinge von Robert Frost waren für mich „Mending Wall – Mauern Ausbessern“ und „The Telephone“, diese beiden habe ich illustriert.
Someone said ‚Come‘ – I heard it as I bowed.“// „I may have thought as much, but not aloud.“// „Well, so I came.“(Aus dem Gedicht „The Telephone“

Eine fünfpfotige Leseempfehlung für diesen tollen Band!!!
 

Der gute Mensch von Sezuan

Bertold Brecht: Der gute Mensch von Sezuan
Die Götter betrachten das Treiben und Leiden der Menschheit schon einige Zeit mit Sorge. Selbstzweifel über ihre Schöpfung treiben sie schließlich dazu, sich selbst auf die Erde zu begeben, um nach einem Menschen zu suchen, der nach Ihren Geboten leben und damit ein guter Mensch sein kann. Die Götter sind schon weit gereist, sie sind müde, traurig und erschöpft als sie endlich in der kleinen Stadt Sezuan ankommen. Niemand hat ihnen bisher Unterkunft gewährt, niemand sich als wirklich guter Mensch erwiesen. Sezuan, beschließen sie ist der letzte Ort in dem sie suchen wollen bevor sie sich das Scheitern ihrer Schöpfung eingestehen. Über den Wasserverkäufer der Stadt gelangen sie zu der Prostituierten Shen-Te. Diese gewährt Ihnen sofort ohne Ansehen ihres eigenen Vorteils Unterschlupf. Da sie in dieser Nacht nicht arbeiten kann, wird sie ihre Miete nicht mehr bezahlen Können. Die Götter erfahren von der mißlichen Lage, und beschließen ihrem ‚guten Menschen‘ ein wahrhaft moralisches Leben durch eine kleine Geldsumme zu ermöglichen. Shen Te eröffnet einen kleinen Tabackladen. Sie ist jedoch so hilfsbereit und gutmütig, daß sie in den Abgrund zurückgerissen zu werden droht. 
„Der Rettung kleiner Nachen 
Wird sofort in die Tiefe gezogen: 
Zu viele Versinkende 
Greifen gierig nach ihm.“ 
In ihrern Not verwandelt sich Shen Te in ihren Vetter Shui Ta. Als Shui Ta gelingt es ihr die eigene Existenz zu retten und ihre Wohltätigkeit als Shen Te aufzufangen. Als Shen Te sich jedoch verliebt und von einem egoistischen arbeitslosen Flieger geschwängert wird muß sie sich mehr und mehr in Shui Ta verwandeln. Der Vetter eröffnet eine Tabak-Fabrik und wird zum menschenverachtenden Ausbeuter. Der ehemalige Liebhaber Shen Tes wirft Shui ta nun vor diese ermordet zu haben und bringt ihn vor Gericht. Shen Te offenbart sich und die Götter kommen zu ihr hinab 
„Euer einstiger Befehl 
Gut zu sein und doch zu leben 
Zerriß mich wie ein Blitz in zwei Hälften. Ich 
Weiß nicht, wie es kam: gut sein zu andern 
Und zu mir konnte ich nicht zugleich 
Andern und mir zu helfen, war mir zu schwer.“ 
Brecht versteht es meisterhaft humorvoll und überspitzt darzustellen, was Adorno folgendermaßen formulierte: 
„Alle Einzelnen sind in der vergesellschafteten Gesellschaft des Moralischen unfähig, das gesellschaftlich gefordert ist,wirklich jedoch nur in einer befreiten Gesellschaft wäre.(… )Dem Einzelnen indessen bleibt an moralischem nicht mehr übrig, als [zu] versuchen, so zu leben, daß man glauben darf, ein gutes Tier gewesen zu sein.“ 
Das nach meinem Geschmack unterhaltsamste und treffendste Stück Brechts! Lesen lohnt sich! Fünf Pfoten!

Die Verschränkung der Sprache und Erfahrung

Die Wörter von Jean Paul Sartre
In diesem Buch beschreibt Sartre seine Lebensgeschichte als lesende und später schreibende Aneignung der Welt durch die Wörter. Sartres Vater stirbt kurz nach seiner Geburt. Seine Mutter muß daraufhin wieder bei ihren Eltern einziehen, und wird behandelt, als sei sie noch ein minderjähriges Mädchen: „Jean-Baptistes Tod wurde das große Ereignis meines Lebens: er legte meine Mutter von neuem in Ketten, und gab mir die Freiheit.“ Sartres Großvater vergöttert das Kind und Sartre wird zum Familienmittelpunkt, der keine Pflichten kennt und auch keine Rechte, die er sich erstreiten müßte. Er kennt nur eine einzige Aufgabe: die zu gefallen. Jedoch verliert er sich selbst dabei und es verunsichert ihn zunehmend, daß er in der Welt, in der alles seinen Platz und seine Bestimmung zu haben scheint, die eigene nicht erkennen kann.
Durch Vorlesen und schließlich eigenständiges Lesen von Büchern findet er gefallen daran, sich aus der Alltagswelt reißen zu lassen. Die Welt in den Büchern scheint ihm einen größeren Wirklichkeitsgehalt zu besitzen: „dort war sie assimiliert, klassifiziert, etikettiert, durchdacht“. Außerhalb der Literatur lebt Sartre zunehmend im Unbehagen: „im gleichen Augenblick, da ihre Zeremonien mich erkennen ließen, daß nichts ohne Grund existiert und daß jeder…seinen festen Platz im Universum besitzt, verflüchtigte sich meine eigene Daseinsberechtigung“ (S.50). Er nimmt sich als überflüssig wahr, und hat das Bedürfnis zu fehlen. Gleichzeitig regt sich in ihm Widerstand gegen das vom Großvater vermittelte Bild der perfekten Welt und im Unglück einer Hauslehrerin erkennt er dessen erschreckende Seite: „Mademoiselle Marie-Louise demoralisierte mich … als ich von ihren Klagen erzählte, lachte mein Großvater: sie war viel zu häßlich um geheiratet zu werden. Ich lachte nicht: man konnte also von Geburt her verurteilt sein? … dann versteckte sich eine unerträgliche Unordnung hinter der Weltordnung.“ Sartre hatte den Idealismus von den Erwachsenen übernommen, er hatte gelernt sich mit ihren Augen zu sehen und begann nun sich von ihm abzuwenden. Er empfindet seine eigenen Handlungen und die seiner Familie als unaufrichtig und unwirklich: als ein Konglomerat von Heuchelei, Attitüden und Substanzlosigkeit, dem er nicht entrinnen kann. Er sehnt sich nach einer Begründung seines Daseins, kann diese aber nicht wie ein Eigentümer oder Erbe in den Gütern dieser Welt erkennen. Schließlich entdeckt er das Schreiben als Aneignungsbeziehung und Ausweg aus seiner Krise: „…das Universum breitete sich zu meinen Füßen, und jedes Ding begehrte demütig einen Namen. Ihm den Namen zu geben bedeutete gleichzeitig Schöpfung und Besitznahme.“ Zunächst schreibt Sartre vor allem um seine Phantasien zu verwirklichen und in sie einzutauchen. Als seine Tätigkeit entdeckt wird, bekundet seine Tante, daß er sicherlich später Schriftsteller werden wird. Bald sieht Sartre dies als Berufung an: Er setzt den Schriftsteller mit dem Helden gleich, beide werden dringend benötigt. Doch auch wenn er in Stunden der Trostlosigkeit immer wieder das Bild der Vorherbestimmung bemüht, findet er nur in der Erkenntnis seiner Freiheit einen Weg aus der Unaufrichtigkeit in der er sich selbst verloren hatte. „Im Augenblick, da ich der Natur entrann um nunmehr ich zu werden … erkannte ich mein Geschick: es war nur meine Freiheit, die sich vor mir dank meiner Bemühungen wie eine fremde Gewalt aufgerichtet hatte.“ Zunächst ist Sartres Ideal allerdings eine Flucht ins posthume. Er möchte sich in ein literarisches Werk verwandeln, „in einen reinen Gegenstand“ und das Leben erscheint ihm nur als ein notwendiger Umweg. Erst im Spiel mit seinen Schulkameraden erlebt Sartre dann „blitzartige Intuitionen“, die ihm seine Notwendigkeit enthüllen: „Ich war unentbehrlich … wem hätte Meyre den Ball zuspielen sollen, wenn ich nicht da war, ich“. Das Spiel befreit ihn: „denn was ist ein Spiel anderes als eine Tätigkeit, deren erster Ursprung der Mensch ist ?“ Bald ist es seine Bestrebung in allen Dingen nur noch von sich selbst abzuhängen. Er erkennt, daß das schreiben ihn nicht rechtfertigen wird jedoch ist kulturelle Tätigkeit „ein Erzeugnis des Menschen, worin er sich projiziert und wiedererkennt; allein dieser kritische Spiegel gibt ihm sein eigenes Bild.“ 

Der gute Mensch ist ein Idiot

Seit seiner Kindheit leidet der Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin unter Epilepsie. Bis zu seiner Behandlung in einem Schweizer Sanatorium hatte ihn diese Erkrankung so stark eingeschränkt, daß er nach eigenem Bekunden beinahe ein Idiot gewesen war. Zu Beginn des Romans kehrt Fürst Myschkin aus seinem Schweizer Sanatorium zurück. Er fährt mit der Eisenbahn nach St. Petersburg, und obgleich er unzureichend gekleidet und mit keinerlei Geld ausgestattet ist schaut er den Menschen und den Umständen die ihm begegnen vertrauensvoll entgegen. Diese offene und Teilnahmsvolle Persönlichkeit des Fürsten läßt ihn den meisten Menschen weiterhin als einen Idioten erscheinen. Myschkin besitzt jedoch eine beinahe hellseherische Gabe im Einschätzen von Menschen und Beziehungsgeflechten und gewinnt dadurch die Achtung der anderen. Schon am Tag seiner Anreise trifft der Fürst auf zwei Frauen von denen sein weiteres Leben geprägt sein wird. Die eine Frau ist Nastassja Filippowna Baraschkowa. Die junge Frau wurde als junges verwaistes Mädchen zunächst auf Kosten des Finanzmagnaten Afanassi Iwanowisch Tozki erzogen. Als dieser ihre ungewöhnliche Schönheit bemerkt, macht er das Mädchen auf einem abgelegenen Landgut zu seiner Mätresse. Die unschuldige ‚Gefallene Frau‘ leidet an diesem Schicksal so sehr, daß sie sich ständig auf selbstzerstörerische Weise quält:
„Diese unglückliche Frau ist zutiefst überzeugt, daß sie das lasterhafteste Wesen auf der Welt ist. (…) Zwar ruft sie alle Augenblicke fast ekstatisch, daß sie keine Schuld an sich erkenne, sondern ein Opfer der Verhältnisse, eines Wüstlings und Übeltäters sei, doch was sie Ihnen auch immer sagt, Sie müssen wissen, daß sie als erste sich nicht glaubt und mit allen Fasern ihres Gewissens vom Gegenteil überzeugt ist, das heißt sich selbst für schuldig hält.“
Fürst Myschkin hat unendliches Mitleid mit Nastassja: um ihr zu helfen will er ihr seine gesamte Zukunft widmen ‚ doch er scheitert:
„Als ich versuchte, diese Finsternis zu erhellen, verursachte ich ihr damit solche Qualen, daß mir jedesmal das Herz weh tut, wenn ich an diese schreckliche Zeit zurückdenke. Es war wie ein Stich in die Brust, dessen Schmerzen nie vergehen.“ (S.595)
Die andere Frau ist die ebenfalls wunderschöne Aglaja Jepantschina, eine der drei Töchter der Generalin Jelisaweta Prokofjewna Jepantschina. Sie erscheint dem Fürsten wie ein ’neues Morgenrot‘ und er verliebt sich in sie. Aglaja, von Ihrer Familie wie ein Flaschengeist abgeschirmt und in besten Absichten unterdrückt, beginnt ebenfalls sich in den Fürsten zu verlieben:
„Ich halte Sie für einen höchst ehrlichen und wahrheitsliebenden Menschen, ehrlicher und wahrheitsliebender als alle anderen, und wenn man von Ihnen sagt, es sei mit Ihrem Verstand… ich meine, Ihr Verstand sei manchmal krank, dann ist das ungerecht, davon bin ich überzeugt (…) denn wenn Ihre Krankheit auch tatsächlich ihren Verstand beeinträchtigt (…)so ist die wichtigere Vernunft bei Ihnen doch besser in Ordnung als bei all den anderen, die davon nicht mal träumen können, denn die Vernunft hat zwei Seiten, eine wichtigere und eine unwichtige“. (S.588)
Mit dem Fürsten Myschkin hat Dostojewskij die literarische Figur des vollkommen schönen, unschuldigen und moralisch guten Menschen geschaffen. Selbst dieser Mensch vermag es jedoch nicht, sich selbst oder einen der verzweifelten, unterdrückten, beschädigten Menschen um sich herum zu erretten. Der Roman ist schon allein aufgrund der unglaublich stimmigen und präzisen psychologischen Zeichnung seiner Charaktere in höchstem Maße lesenswert! 

Ist das Leben es wert gelebt zu werden?

Heute einmal etwas philosophisches…

 In seinem Essay ‚Der Mythos des Sisyphos‘ entwirft Camus angesichts dieser Frage seine Philosophie des Absurden: „Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord“ Die Vorraussetzung für den Wunsch nach Selbstmord aus Überlegung ist Camus zufolge das Gefühl der Absurdität. Obgleich Selbstmord nur selten aus Überlegung begangen wird, und die individuellen Gründe der Selbstmörder nicht nachvollzogen werden können, möchte Camus untersuchen, ob es eine „Logik bis zum Tode“ gibt. Außerdem weißt er darauf hin, daß es neben dem physischen Selbstmord auch den „Selbstmord des Denkens im Moment seiner reinsten Auflehnung gibt“. Der Moment der Auflehnung des Denkens ist der Moment, in dem der Mensch die Absurdität seines Lebens erkennt. Zunächst entwickelt sich aus den mechanischen Abläufen seines Lebens ein Überdruß. Aus diesem Überdruß kann dann das Bewußtsein des Absurden entstehen oder aber der Mensch kehrt in den mechanischen Alltag zurück, ohne ihn zu reflektieren. Wird dem Menschen das Absurde bewußt, dann zerfällt in einem Augenblick das Gefüge der Erkenntnisse, Schemata und sogar der Begriffe in dem er bis dahin die Welt erklären und bändigen konnte. Er empfindet eine Fremdheit, einen Abgrund zwischen sich, seinem Bewußtsein, und der Welt in der plötzlich kein Ding mehr mit Begriffen erfaßt werden kann. „Die Welt verstehen heißt für einen Menschen, sie auf das Menschliche zurückführen, ihr seinen Siegel aufdrücken.“, in dem Moment, in dem er die Irrationalität der Welt erkennt, entsteht das Gefühl des Absurden in ihm. Dieses Gefühl des Absurden ist jedoch nichts statisches, es lebt weiter in einem Individuum, welches die Welt ohne Hoffnung auf einen Sinn betrachtet, die Absurdität immer wieder neu erfährt und erträgt, ohne sich mit ihr abzufinden. Es stirbt, wenn es verabsolutiert oder durch den existentiellen Sprung in die Hoffnung verleugnet wird. Das Absurde entspringt aus dem Widerspruch zwischen dem Bewußtsein des Menschen und der Welt. Es verschwindet, wenn einer dieser beiden Pole als absolut gesetzt wird. Kierkegaard macht nach Camus einen ‚existentiellen Sprung‘, indem er aus dem Scheitern und dem Tod Hoffnung schöpft. Er verleugnet das Absurde und flüchtet in die Transzendenz: „Aber für den Christen ist der Tod keineswegs das Ende von allem; er enthält schließlich mehr Hoffnung, als das Leben uns bietet…“ Camus bezeichnet diese existentielle Haltung als „philosophischen Selbstmord“. Von einer Philosophie der Nicht-Bedeutung der Welt ausgehend, negiert sich das Denken selbst, um schließlich Sinn und Tiefe in ihr zu finden. Nachdem Camus den ‚philosophischen Selbstmord‘ definiert hat, kehrt er wieder zur Ausgangsfrage zurück, ob die Absurdität des Daseins den Tod verlangt. Das Absurde entsteht aus dem Bewußtsein des Menschen. Ohne ein Bewußtsein wäre er ganz einfach Teil der Welt. Die Vernunft jedoch setzt ihn in Widerspruch zur Welt, läßt den absurden Konflikt überhaupt entstehen. Nachdem das Absurde erkannt ist, muß der Mensch daran festhalten „durch ein beständiges, immer wieder neues, stets angespanntes Bewußtsein.“ um in das tägliche Leben zurückkehren zu können, ohne in der Welt des anonymen ‚man‘ zu versinken. Das absurde Bewußtsein ermöglicht ihm die Auflehnung gegen jegliche Instrumentalisierung der Gegenwart für einen ‚Sinn‘. Der Mensch fühlt „nur diese seine unwiderrufliche Unschuld … die ihm alles erlaubt.“ Der Wert des Lebens ergibt sich also nicht aus einer Sinnhaftigkeit. Es scheint im Gegenteil desto lebenswerter je weniger Sinn es hat. Der Selbstmord löst das Problem des Absurden, indem er es im Tod des Individuums auflöst. In seiner Auflehnung gegen das Absurde bzw. dessen Aufhebung, seiner Freiheit des Handelns ohne moralische Vorurteile und seiner Leidenschaft für die mannigfaltigen Erfahrungen des Lebens, lehnt der absurde Mensch den Selbstmord ab. Er lebt ohne Widerruf und in prinzipieller Unschuld außerhalb einer metaphysischen Moral, vor der er sich rechtfertigen müßte. Er ist verantwortlich für die Folgen seiner Handlungen, jedoch niemals schuldig, da es für Schuld keinen Maßstab gibt. Tugendhaft ist der absurde Mensch „aus Laune“ und nur die Erfahrung bildet für ihn einen Maßstab zur Begründung seiner künftigen Handlungen.
Als die „absurdeste Gestalt“ bezeichnet Camus schließlich den schöpferischen Menschen. Der absurde Mensch versucht nicht mehr Erklärungen und Lösungen zu finden sondern Erfahrungen zu sammeln und zu beschreiben. Das künstlerische Schaffen ist die absurde Freude par excellence. Der Roman ist Camus zufolge ein Kunstwerk, „bei dem die Versuchung zu erklären besonders groß ist“, da der Schriftsteller hier ein eigenes Universum erschafft. Die großen Romanciers sind jedoch von der Nutzlosigkeit von Erklärungsprinzipien und Postulaten überzeugt und stehen damit den Thesen-Schriftstellern konträr gegenüber. Durch ihre „Entscheidung, eher in Bildern als in Beweißführungen“ zu schreiben, gelingt es ihnen „das Wirkliche zu sublimieren“, während das Denken dieses nur darstellen kann. Um den ‚Geboten des Absurden‘ gerecht zu werden, muß das Werk „die Entzweiung und die Auflehnung sichtbar“ machen und darf keine Hoffnungen und Schlußfolgerungen anbieten.
Zum Abschluß seines Essays illustriert Camus seine Vorstellung vom absurden Helden am Mythos von Sisyphos. Camus zufolge kann Sisyphos sein Schicksal bezwingen, obwohl er ihm äußerlich nicht entgehen kann. Während er ins Tal läuft um seinen Fels zu holen, bleibt ihm Zeit sich über sein Schicksal bewußt zu werden. Wenn er sein übergeordnetes Schicksal verachtet, und daraus „eine menschliche Angelegenheit“ macht, seine Sache, wendet er sich damit der Erde zu. Somit kommt ihm das „Universum, daß nun keinen Herrn mehr kennt, … weder unfruchtbar noch wertlos vor“