Heute einmal etwas philosophisches…
In seinem Essay ‚Der Mythos des Sisyphos‘ entwirft Camus angesichts dieser Frage seine Philosophie des Absurden: „Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord“ Die Vorraussetzung für den Wunsch nach Selbstmord aus Überlegung ist Camus zufolge das Gefühl der Absurdität. Obgleich Selbstmord nur selten aus Überlegung begangen wird, und die individuellen Gründe der Selbstmörder nicht nachvollzogen werden können, möchte Camus untersuchen, ob es eine „Logik bis zum Tode“ gibt. Außerdem weißt er darauf hin, daß es neben dem physischen Selbstmord auch den „Selbstmord des Denkens im Moment seiner reinsten Auflehnung gibt“. Der Moment der Auflehnung des Denkens ist der Moment, in dem der Mensch die Absurdität seines Lebens erkennt. Zunächst entwickelt sich aus den mechanischen Abläufen seines Lebens ein Überdruß. Aus diesem Überdruß kann dann das Bewußtsein des Absurden entstehen oder aber der Mensch kehrt in den mechanischen Alltag zurück, ohne ihn zu reflektieren. Wird dem Menschen das Absurde bewußt, dann zerfällt in einem Augenblick das Gefüge der Erkenntnisse, Schemata und sogar der Begriffe in dem er bis dahin die Welt erklären und bändigen konnte. Er empfindet eine Fremdheit, einen Abgrund zwischen sich, seinem Bewußtsein, und der Welt in der plötzlich kein Ding mehr mit Begriffen erfaßt werden kann. „Die Welt verstehen heißt für einen Menschen, sie auf das Menschliche zurückführen, ihr seinen Siegel aufdrücken.“, in dem Moment, in dem er die Irrationalität der Welt erkennt, entsteht das Gefühl des Absurden in ihm. Dieses Gefühl des Absurden ist jedoch nichts statisches, es lebt weiter in einem Individuum, welches die Welt ohne Hoffnung auf einen Sinn betrachtet, die Absurdität immer wieder neu erfährt und erträgt, ohne sich mit ihr abzufinden. Es stirbt, wenn es verabsolutiert oder durch den existentiellen Sprung in die Hoffnung verleugnet wird. Das Absurde entspringt aus dem Widerspruch zwischen dem Bewußtsein des Menschen und der Welt. Es verschwindet, wenn einer dieser beiden Pole als absolut gesetzt wird. Kierkegaard macht nach Camus einen ‚existentiellen Sprung‘, indem er aus dem Scheitern und dem Tod Hoffnung schöpft. Er verleugnet das Absurde und flüchtet in die Transzendenz: „Aber für den Christen ist der Tod keineswegs das Ende von allem; er enthält schließlich mehr Hoffnung, als das Leben uns bietet…“ Camus bezeichnet diese existentielle Haltung als „philosophischen Selbstmord“. Von einer Philosophie der Nicht-Bedeutung der Welt ausgehend, negiert sich das Denken selbst, um schließlich Sinn und Tiefe in ihr zu finden. Nachdem Camus den ‚philosophischen Selbstmord‘ definiert hat, kehrt er wieder zur Ausgangsfrage zurück, ob die Absurdität des Daseins den Tod verlangt. Das Absurde entsteht aus dem Bewußtsein des Menschen. Ohne ein Bewußtsein wäre er ganz einfach Teil der Welt. Die Vernunft jedoch setzt ihn in Widerspruch zur Welt, läßt den absurden Konflikt überhaupt entstehen. Nachdem das Absurde erkannt ist, muß der Mensch daran festhalten „durch ein beständiges, immer wieder neues, stets angespanntes Bewußtsein.“ um in das tägliche Leben zurückkehren zu können, ohne in der Welt des anonymen ‚man‘ zu versinken. Das absurde Bewußtsein ermöglicht ihm die Auflehnung gegen jegliche Instrumentalisierung der Gegenwart für einen ‚Sinn‘. Der Mensch fühlt „nur diese seine unwiderrufliche Unschuld … die ihm alles erlaubt.“ Der Wert des Lebens ergibt sich also nicht aus einer Sinnhaftigkeit. Es scheint im Gegenteil desto lebenswerter je weniger Sinn es hat. Der Selbstmord löst das Problem des Absurden, indem er es im Tod des Individuums auflöst. In seiner Auflehnung gegen das Absurde bzw. dessen Aufhebung, seiner Freiheit des Handelns ohne moralische Vorurteile und seiner Leidenschaft für die mannigfaltigen Erfahrungen des Lebens, lehnt der absurde Mensch den Selbstmord ab. Er lebt ohne Widerruf und in prinzipieller Unschuld außerhalb einer metaphysischen Moral, vor der er sich rechtfertigen müßte. Er ist verantwortlich für die Folgen seiner Handlungen, jedoch niemals schuldig, da es für Schuld keinen Maßstab gibt. Tugendhaft ist der absurde Mensch „aus Laune“ und nur die Erfahrung bildet für ihn einen Maßstab zur Begründung seiner künftigen Handlungen.
Als die „absurdeste Gestalt“ bezeichnet Camus schließlich den schöpferischen Menschen. Der absurde Mensch versucht nicht mehr Erklärungen und Lösungen zu finden sondern Erfahrungen zu sammeln und zu beschreiben. Das künstlerische Schaffen ist die absurde Freude par excellence. Der Roman ist Camus zufolge ein Kunstwerk, „bei dem die Versuchung zu erklären besonders groß ist“, da der Schriftsteller hier ein eigenes Universum erschafft. Die großen Romanciers sind jedoch von der Nutzlosigkeit von Erklärungsprinzipien und Postulaten überzeugt und stehen damit den Thesen-Schriftstellern konträr gegenüber. Durch ihre „Entscheidung, eher in Bildern als in Beweißführungen“ zu schreiben, gelingt es ihnen „das Wirkliche zu sublimieren“, während das Denken dieses nur darstellen kann. Um den ‚Geboten des Absurden‘ gerecht zu werden, muß das Werk „die Entzweiung und die Auflehnung sichtbar“ machen und darf keine Hoffnungen und Schlußfolgerungen anbieten.
Zum Abschluß seines Essays illustriert Camus seine Vorstellung vom absurden Helden am Mythos von Sisyphos. Camus zufolge kann Sisyphos sein Schicksal bezwingen, obwohl er ihm äußerlich nicht entgehen kann. Während er ins Tal läuft um seinen Fels zu holen, bleibt ihm Zeit sich über sein Schicksal bewußt zu werden. Wenn er sein übergeordnetes Schicksal verachtet, und daraus „eine menschliche Angelegenheit“ macht, seine Sache, wendet er sich damit der Erde zu. Somit kommt ihm das „Universum, daß nun keinen Herrn mehr kennt, … weder unfruchtbar noch wertlos vor“