Begeht jemand Selbstmord, ist plötzlich alles abgeschnitten. Jede Möglichkeit Kontakt aufzunehmen, noch etwas zu sagen oder zu fragen.
Anna sitzt zu Beginn des Romans „Wenn die Nacht am stillsten ist“ am Bett ihres Geliebten, der sich am morgen von ihr getrennt hatte. Er hat Schlaftabletten genommen, vermutlich um sich umzubringen.
Doch Anna ruft keinen Notarzt. Sie sitzt einfach neben Ludwig. Sitzt an seinem Bett und redet mit ihm über all das wichtige, dass sie ihm nicht gesagt hatte. Und sie stellt ihm ihre Fragen. Antworten kann Ludwig nicht, ob er sie hört ist fraglich, aber er lebt. Noch ist er nicht Abgeschnitten von der Welt, unerreichbar, tot. Vielleicht ist er in diesem Zustand sogar erreichbarer für Anna, als er es in der gesamten Beziehung war.
Ludwig ist einer von Annas Kollegen bei einer Zeitung. Alle hier sind cool, achten auf ihr Styling. Sie hängen nicht wie Anna an Erinnerungsstücken sondern kaufen sie Vintage . Anna passt nicht in diese Welt, doch sie passt sich an. Besonders als sie sich in Ludwig verliebt, der falsche Formulierungen, „Opfergeschichten“ und Schlechtes Styling nicht ertragen kann. Ludwig schreibt hochkomplexe Texte, in der zwischenmenschlichkeit will er jedoch oberflächlich bleiben. Ludwigs Texte suchen eine Wahrhaftigkeit und Stimmigkeit jenseits der Realität. Wichtig, dass sind die richtigen Worte die stimmige Situation, der ausgenutzte Augenblick, die Perfektion.
Anna bemüht sich dem Code Ludwigs gerecht zu werden, so sehr dass sie sich zurücknimmt bis man sie kaum wiedererkennt.
„Wenn die Nacht am stillsten ist“ ist ein beeindruckendes Buch über Selbstmord, ob nun den physischen, den psychischen oder den in einer Beziehung.
Eine Leseempfehlung und vier Pfoten von bookslioness!!!
Alle Beiträge von buecherloewin
Wolfgang Borchert – Draußen vor der Tür
Für den Rest des Lebens
Mascha Kaleko – In meinen Träumen läutet es Sturm
Mascha Kaleko war eine beeindruckende Frau und ist eine beeindruckende Lyrikerin. Ihre Gedichte sind lakonisch und doch gefühlvoll. Sie dichtet genauso treffend und zeitlos über die Liebe wie über die Polizei. Im Gedichtband „In meinen Träumen läutet es Sturm“ sind sämtliche unveröffentlichte Gedichte aus Mascha Kalekos Nachlass versammelt. Sie geben Einblick in Ihr Leben mit der Lyrik: Die frühen Jahre, das Exil, die letzte Zeit ihres Lebens.
Zum Abschluss bietet der Band noch einen sehr lesenswerten biographischen Text.
Gedichte sind nichts hochtrabendes unverständliches, abgehobenes.
Sie verdichten den Inhalt, schärfen ihn durch ihre Form – wenn man sich nur darauf einlässt sie zu lesen, sprechen sie oftmals direkter als ein langer Roman. Das gilt besonders für die Gedichte von Mascha Kaleko.
Unbedingt lesen! Fünf Pfoten…
Der Roman von Jennifer Egan – Wie ein gutes Mixtape
Der Roman ‚A visit from the goon squad‘ von Jennifer Egan hat den Pulitzer Preis 2011 gewonnen, und wurde gerade ins deutsche übersetzt: „Der größere Teil der Welt“ ist im Schöffling Verlag erschienen.
Die Hauptfiguren des Romans, der in verschiedenen Episoden aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, haben irgendwie mit dem Musikbusiness zu tun. Da ist Bennie Salazar, der Musikproduzent, sein Mentor Lou, seine Assistentin Sasha…
Die Figuren erleben Höhen und Tiefen, erleben die Zeit des Rock n Roll bis hin zu facebook und einer Zukunft, in der nahezu jedes Baby mit einem
Handy aufwächst und schon mit wenigen Monaten die ersten Musiktitel kaufen kann.
Der Roman sprüht vor Ideen, die Figuren sind plausibel und ihre Geschichten berühren. Noch dazu überzeugt Jennifer Egan mit den sehr unterschiedlichen Perspektiven. Wir erleben, wie ein Diktator eine Imagekampagne durchläuft, wie ein junges Ehepaar am spießigen Vorort scheitert, und wie ein heruntergekommener Musiker zum Star der Zukunft wird, weil er authentisch ist, weil er abseits der Gesellschaft gestanden hat und dennoch, auch durch seine Ausstrahlung und sein Können, plötzlich der Menge aus dem Herzen spricht. Wir erleben auch, wie dieser Erfolg vorher durch bezahlte Blogger ermöglicht wird…
Warum das Buch mich dennoch nicht restlos überzeugen konnte – es stellt viele Facetten dar und kann dadurch den Figuren nicht so viel Zeit und Tiefe widmen. Manchmal wird zu schnell vorgespult, oder es folgt schon der nächste Titel. Die Einsichten und den beeindruckenden Stil Jennifer Egans sollte man dennoch nicht verpassen.
Also vier von fünf Pfoten und eine Leseempfehlung!