Die Mädchen unter sich – ein unbetreuter Augenblick…
Anais Hendricks ist fünfzehn Jahre alt und wird gerade wiedereinmal in eine Jugendhilfeeinrichtung gebracht. Sie soll eine Polizistin ins Koma geprügelt haben. Sie selbst kann sich an diesen Tag nicht erinnern.
Nun wird Anais in ein Heim eingewiesen, das besonders streng ist. Es ist ein Panopticon, in dem die Jugendlichen unter ständiger Beobachtung durch den Wachturm im Zentrum des Gebäudes stehen.
Anais hat ohnehin schon lange das Gefühl ein Experiment zu sein und ständig beobachtet zu werden. Sie hat ihr ganzes bisheriges Leben bei Pflegeeltern oder in Heimen verbracht. Stets wurden Berichte über sie verfasst, sie wurde beobachtet, beurteilt, begutachtet und therapiert. Echte Zugehörigkeit und Geborgenheit hat sie dagegen nicht erfahren.
Das Panopticon scheint der alptraumhafte Höhepunkt in Ihrer Laufbahn durch Institutionen zu sein. Dennoch findet Anais hier Verbündete. Und sie hat auch etwas Glück: Die geschlossene Station ist noch nicht fertiggestellt.
Jenni Fagan zeigt in ihrem Roman „Das Mädchen mit dem Haifischherz“ auf, welche Misstände im Fürsorgesystem bestehen. Wie Jugendliche allein schon durch die Strukturen systematisch gedemütigt und entmutigt werden. Welche Schäden nur scheinbar wohlwollende Sozialarbeiter, Richter und Polizisten anrichten können und warum wirklich engagierte Sozialarbeiter diese kaum verhindern können.
Für Sich sein kann sie nur draußen – Anais lässt sich baumeln.
Gleichzeitig verklärt Jenni Fagan nicht für einen Moment ihre jugendlichen Protagonisten. Sie haben Persönlichkeit, Wünsche und Ziele. Und sie sind nicht zimperlich.
Das Buch ist sehr gut geschrieben, spannend und humorvoll. Und es hat eine Lektion im Gepäck, die nicht an Jugendliche gerichtet ist, sondern an die Gesellschaft: Die Würde ihrer Schutzbefohlenen wird angetastet.
Fuck sei Dank, dieses Buch wurde geschrieben! Es bekommt eine fünfpfotige Leseempfehlung!