Und Nietzsche weinte von Irvin D Yalom
Nietzsche und Freud. Vermutlich hat jeder, der sich mit ihren Werken befasste sich manches Mal gefragt, ob die Wege dieser beiden beeindruckenden Zeitgenossen sich jemals kreuzten, ob sich ihre in mancherlei Hinsicht verwandten Gedanken je gegenseitig befruchteten. Über Nietzsches Leben ist sehr viel bekannt, sein Leben wird beispielsweise detailliert in der Nietzsche-Chronik nachgezeichnet, seine Briefe, seine gesammelten Werke stehen zur Verfügung. Gerade Nietzsches Verhältnis zu den Frauen ist einerseits ein leerer Fleck in diesem Wissen, andererseits gibt es allerhand ‚Belege‘ die die Absonderlichkeit dieses Verhältnisses betonen: der bestmögliche Nährboden für Klatsch. Einen Kontakt zwischen Nietzsche und Freud gab es vermutlich nicht.
Dieses Buch bietet nun einerseits eine reizvolle literarische Auspinselung des Verhältnisses Nietzsches zur Psychoanalyse. Andererseits bringt es ein wenig platt die altbekannten Geschichten von Nietzsches angeblichem Frauen-Trauma und den Resultaten in Leben und Werk. Während die Zusammenführung einiger Schriften Nietzsches mit der frühen Psychoanalyse sehr unterhaltsam ist, wirkt die Hinführung zur Therapie des Denkers streckenweise sehr gestelzt. Man spürt förmlich, wie ein Blick aus dem 21. Jahrhundert das 19. ausmalt und einige seiner beeindruckensten Protagonisten in einer Weise zusammenführt die sie wohl dazu brächte, sich im Grabe umzudrehen.
Manchmal scheint es mir, dass das bekannte Photo Nietzsches im Profil einen übergroßen Einfluss hat. Der Nietzsche den Irvin D. Yalom zeichnet ist nun wirklich der hinreißende Fall eines bockigen,distanzierten aber genialen Patienten, dem sich der Therapeut dann nähert, seine Distanz aufbrechen kann und dann endlich weint er! Herzzereißend und schmalzig. Und ganz kann ich mich auch nicht des Eindrucks einer gewissen Unredlichkeit erwähren: Ist es nicht nurmehr bloßes name-dropping das Personal dieses Romans nach bekannten historischen Vorbildern zu benennen? Wäre der Roman ‚Und Hans-Otto weinte‘ ebenso gut verkauft worden?
Zugute halte ich dem Buch aber neben einer sich deutlich steigernden Spannung und Sympathie für seine Figuren, dass es Lust auf eine eigene Begegnung mit Nietzsche (und auch Lou Salomé)macht. Außerdem zeigt es auch Defizite der Psychoanalyse, so zum Beispiel das Machtverhältniss zwischen Arzt und Patienten, oder der Verherrlichung die aus der Hoffnung entspringt, gerade dieser Mensch möge helfen können. Dem Autor gelingt es auch, Nietzsches Argumente glaubhaft in seiner Geschichte einzuweben ohne ihnen ihre kritische Kraft zu nehmen und sie zu einem bloßen Brevier zum Wohlbefinden zu verstümmeln. Die philosophische Lebensberatung wird als eine fruchtbare Abwandlung der psychoanalytischen Vorgehensweise beschrieben. Auch die Geschichte der Ehekrise des Arztes sowie die Bearbeitung seiner Obsession fand ich gegen Ende beeindruckend und plausibel. Dennoch schätze ich Bücher mehr, die eigene Erfahrung unumwunden zum Stoff machen und gerade wenn man literarische Größen wie Nietzsche zur Figur bemüht setzt man hohe Maßstäbe für das eigene Schreiben.