Mario Vargas Llosa erzählt in seinem autobiographischen Roman „Tante
Julia und der Schreibkünstler“ von einer skandalträchtigen Liebe und
einem herausragenden Erzähler.
Das Buch lässt den Leser in meisterhaft ausgebreitete Welten eintauchen.
Lima, Peru, in den fünfziger Jahren.
Der junge Mario arbeitet bei einem von zwei Radiosendern der Genarros.
Er paraphrasiert Meldungen aus der Zeitung für die Nachrichtensendung
des „intellektuellen“ Senders, während im „populistischen“
Schwesternsender Hörspiele den Programmschwerpunkt bilden. Für diese
Hörspiele engagieren die Genarros einen erfolgreichen bolivianischen
Schreibkünstler.
Mario, der sich selbst im Schreiben von Kurzgeschichten versucht, ist
fasziniert von diesem Mann, der unermüdlich schreibt und
inszeniert und dessen Geschichten eine stetig
wachsende Hörerschaft in ihren Bann ziehen.
Ebenfalls aus Bolivien kommt Tante Julia, um einiges älter als Mario,
geschieden und auf der Suche nach einem neuen Mann.
Zwischen den beiden beginnt eine Romanze, deren Verlauf stetig
spannender wird und in jedem zweiten Kapitel des Buches von einer
Geschichte des Schreibkünstlers unterbrochen wird.
In diesen größtenteils amüsanten Geschichten wird zum einen das Talent
des Schreibkünstlers dargestellt. Zum anderen eruieren sie die Fragen,
die sich der junge Mario stellt: was ist konventionell, was
intellektuell? Was erreicht die Menschen? Was ist trivial? Was ist
Literatur?
Konventionell sind zunächst die Helden und die
Muster der Geschichten.
Ein Held, breite Stirn, Adlernase, stechender Blick… kämpft sich mit
seinem unbestechlichen Wesen und seiner aufrechten Art zum Ziel seiner
Berufung.
Aber die Kunstfertigkeit, mit der die Geschichten geschrieben sind,
erzeugt Anteilnahme, die über ihre scheinbare Trivialität hinausgeht.
Und das Konventionelle verliert sich mehr und mehr. Die Geschichten
werden absurder und absonderlicher. Gerade in dieser Entwicklung,
dieser Lösung von der „Masche“ einer Hörspielfolge erlangen sie
literarische Qualität.
Das Buch ist lesenswert, interessant und auch stellenweise amüsant.
Etwas zu wenig Tiefe bekam die Liebesgeschichte, insbesondere Tante
Julia hätte mehr Raum gutgetan. Außerdem, obgleich die rassistischen,
schwulen-, frauen- und
argentinienfeindlichen Bemerkungen der Gesellschaft den Spiegel
vorhalten sollen und konterkariert werden, erschienen sie mir zum Teil
überzogen und überflüssig.
Das macht eine dreipfotige Leseenpfehlung.
Ich danke dem Suhrkamp Verlag, der mir ein Exemplar zur Verlosung am
Weltbuchtag zur Verfügung stellt!