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Über buecherloewin

Ich lese für mein Leben gern Und trage meine Bücher In meinem weichen Löwenmaul Dahin, ganz unversehrt Was ich in meiner Lese-Jagd Verschlinge schreibe ich dann auf Damit auch Euch die Jagd gelinge Nach großer Freude, ja Erkenntnis Und einem neuen Weltverständnis

Die Verschränkung der Sprache und Erfahrung

Die Wörter von Jean Paul Sartre
In diesem Buch beschreibt Sartre seine Lebensgeschichte als lesende und später schreibende Aneignung der Welt durch die Wörter. Sartres Vater stirbt kurz nach seiner Geburt. Seine Mutter muß daraufhin wieder bei ihren Eltern einziehen, und wird behandelt, als sei sie noch ein minderjähriges Mädchen: „Jean-Baptistes Tod wurde das große Ereignis meines Lebens: er legte meine Mutter von neuem in Ketten, und gab mir die Freiheit.“ Sartres Großvater vergöttert das Kind und Sartre wird zum Familienmittelpunkt, der keine Pflichten kennt und auch keine Rechte, die er sich erstreiten müßte. Er kennt nur eine einzige Aufgabe: die zu gefallen. Jedoch verliert er sich selbst dabei und es verunsichert ihn zunehmend, daß er in der Welt, in der alles seinen Platz und seine Bestimmung zu haben scheint, die eigene nicht erkennen kann.
Durch Vorlesen und schließlich eigenständiges Lesen von Büchern findet er gefallen daran, sich aus der Alltagswelt reißen zu lassen. Die Welt in den Büchern scheint ihm einen größeren Wirklichkeitsgehalt zu besitzen: „dort war sie assimiliert, klassifiziert, etikettiert, durchdacht“. Außerhalb der Literatur lebt Sartre zunehmend im Unbehagen: „im gleichen Augenblick, da ihre Zeremonien mich erkennen ließen, daß nichts ohne Grund existiert und daß jeder…seinen festen Platz im Universum besitzt, verflüchtigte sich meine eigene Daseinsberechtigung“ (S.50). Er nimmt sich als überflüssig wahr, und hat das Bedürfnis zu fehlen. Gleichzeitig regt sich in ihm Widerstand gegen das vom Großvater vermittelte Bild der perfekten Welt und im Unglück einer Hauslehrerin erkennt er dessen erschreckende Seite: „Mademoiselle Marie-Louise demoralisierte mich … als ich von ihren Klagen erzählte, lachte mein Großvater: sie war viel zu häßlich um geheiratet zu werden. Ich lachte nicht: man konnte also von Geburt her verurteilt sein? … dann versteckte sich eine unerträgliche Unordnung hinter der Weltordnung.“ Sartre hatte den Idealismus von den Erwachsenen übernommen, er hatte gelernt sich mit ihren Augen zu sehen und begann nun sich von ihm abzuwenden. Er empfindet seine eigenen Handlungen und die seiner Familie als unaufrichtig und unwirklich: als ein Konglomerat von Heuchelei, Attitüden und Substanzlosigkeit, dem er nicht entrinnen kann. Er sehnt sich nach einer Begründung seines Daseins, kann diese aber nicht wie ein Eigentümer oder Erbe in den Gütern dieser Welt erkennen. Schließlich entdeckt er das Schreiben als Aneignungsbeziehung und Ausweg aus seiner Krise: „…das Universum breitete sich zu meinen Füßen, und jedes Ding begehrte demütig einen Namen. Ihm den Namen zu geben bedeutete gleichzeitig Schöpfung und Besitznahme.“ Zunächst schreibt Sartre vor allem um seine Phantasien zu verwirklichen und in sie einzutauchen. Als seine Tätigkeit entdeckt wird, bekundet seine Tante, daß er sicherlich später Schriftsteller werden wird. Bald sieht Sartre dies als Berufung an: Er setzt den Schriftsteller mit dem Helden gleich, beide werden dringend benötigt. Doch auch wenn er in Stunden der Trostlosigkeit immer wieder das Bild der Vorherbestimmung bemüht, findet er nur in der Erkenntnis seiner Freiheit einen Weg aus der Unaufrichtigkeit in der er sich selbst verloren hatte. „Im Augenblick, da ich der Natur entrann um nunmehr ich zu werden … erkannte ich mein Geschick: es war nur meine Freiheit, die sich vor mir dank meiner Bemühungen wie eine fremde Gewalt aufgerichtet hatte.“ Zunächst ist Sartres Ideal allerdings eine Flucht ins posthume. Er möchte sich in ein literarisches Werk verwandeln, „in einen reinen Gegenstand“ und das Leben erscheint ihm nur als ein notwendiger Umweg. Erst im Spiel mit seinen Schulkameraden erlebt Sartre dann „blitzartige Intuitionen“, die ihm seine Notwendigkeit enthüllen: „Ich war unentbehrlich … wem hätte Meyre den Ball zuspielen sollen, wenn ich nicht da war, ich“. Das Spiel befreit ihn: „denn was ist ein Spiel anderes als eine Tätigkeit, deren erster Ursprung der Mensch ist ?“ Bald ist es seine Bestrebung in allen Dingen nur noch von sich selbst abzuhängen. Er erkennt, daß das schreiben ihn nicht rechtfertigen wird jedoch ist kulturelle Tätigkeit „ein Erzeugnis des Menschen, worin er sich projiziert und wiedererkennt; allein dieser kritische Spiegel gibt ihm sein eigenes Bild.“ 

Der gute Mensch ist ein Idiot

Seit seiner Kindheit leidet der Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin unter Epilepsie. Bis zu seiner Behandlung in einem Schweizer Sanatorium hatte ihn diese Erkrankung so stark eingeschränkt, daß er nach eigenem Bekunden beinahe ein Idiot gewesen war. Zu Beginn des Romans kehrt Fürst Myschkin aus seinem Schweizer Sanatorium zurück. Er fährt mit der Eisenbahn nach St. Petersburg, und obgleich er unzureichend gekleidet und mit keinerlei Geld ausgestattet ist schaut er den Menschen und den Umständen die ihm begegnen vertrauensvoll entgegen. Diese offene und Teilnahmsvolle Persönlichkeit des Fürsten läßt ihn den meisten Menschen weiterhin als einen Idioten erscheinen. Myschkin besitzt jedoch eine beinahe hellseherische Gabe im Einschätzen von Menschen und Beziehungsgeflechten und gewinnt dadurch die Achtung der anderen. Schon am Tag seiner Anreise trifft der Fürst auf zwei Frauen von denen sein weiteres Leben geprägt sein wird. Die eine Frau ist Nastassja Filippowna Baraschkowa. Die junge Frau wurde als junges verwaistes Mädchen zunächst auf Kosten des Finanzmagnaten Afanassi Iwanowisch Tozki erzogen. Als dieser ihre ungewöhnliche Schönheit bemerkt, macht er das Mädchen auf einem abgelegenen Landgut zu seiner Mätresse. Die unschuldige ‚Gefallene Frau‘ leidet an diesem Schicksal so sehr, daß sie sich ständig auf selbstzerstörerische Weise quält:
„Diese unglückliche Frau ist zutiefst überzeugt, daß sie das lasterhafteste Wesen auf der Welt ist. (…) Zwar ruft sie alle Augenblicke fast ekstatisch, daß sie keine Schuld an sich erkenne, sondern ein Opfer der Verhältnisse, eines Wüstlings und Übeltäters sei, doch was sie Ihnen auch immer sagt, Sie müssen wissen, daß sie als erste sich nicht glaubt und mit allen Fasern ihres Gewissens vom Gegenteil überzeugt ist, das heißt sich selbst für schuldig hält.“
Fürst Myschkin hat unendliches Mitleid mit Nastassja: um ihr zu helfen will er ihr seine gesamte Zukunft widmen ‚ doch er scheitert:
„Als ich versuchte, diese Finsternis zu erhellen, verursachte ich ihr damit solche Qualen, daß mir jedesmal das Herz weh tut, wenn ich an diese schreckliche Zeit zurückdenke. Es war wie ein Stich in die Brust, dessen Schmerzen nie vergehen.“ (S.595)
Die andere Frau ist die ebenfalls wunderschöne Aglaja Jepantschina, eine der drei Töchter der Generalin Jelisaweta Prokofjewna Jepantschina. Sie erscheint dem Fürsten wie ein ’neues Morgenrot‘ und er verliebt sich in sie. Aglaja, von Ihrer Familie wie ein Flaschengeist abgeschirmt und in besten Absichten unterdrückt, beginnt ebenfalls sich in den Fürsten zu verlieben:
„Ich halte Sie für einen höchst ehrlichen und wahrheitsliebenden Menschen, ehrlicher und wahrheitsliebender als alle anderen, und wenn man von Ihnen sagt, es sei mit Ihrem Verstand… ich meine, Ihr Verstand sei manchmal krank, dann ist das ungerecht, davon bin ich überzeugt (…) denn wenn Ihre Krankheit auch tatsächlich ihren Verstand beeinträchtigt (…)so ist die wichtigere Vernunft bei Ihnen doch besser in Ordnung als bei all den anderen, die davon nicht mal träumen können, denn die Vernunft hat zwei Seiten, eine wichtigere und eine unwichtige“. (S.588)
Mit dem Fürsten Myschkin hat Dostojewskij die literarische Figur des vollkommen schönen, unschuldigen und moralisch guten Menschen geschaffen. Selbst dieser Mensch vermag es jedoch nicht, sich selbst oder einen der verzweifelten, unterdrückten, beschädigten Menschen um sich herum zu erretten. Der Roman ist schon allein aufgrund der unglaublich stimmigen und präzisen psychologischen Zeichnung seiner Charaktere in höchstem Maße lesenswert! 

Gut ist das Gegenteil von Gutgemeint

Alfred Irgang ist ein interessanter, liebenswürdiger und hilfsbereiter Mensch. Er betrachtet die Dinge mit einem demokratischen Blick, der ihnen allen Wert zuerkennt. Wiewohl er einst, als Student der Geschichte, eine Doktorarbeit über mittelalterliche Ministeralien zu schreiben gedachte, konnte er nicht umhin kommen auch solche Dokumente aufzubewahren, die weder im engeren noch im weiteren Sinne mit seinen eigenen Forschungen zusammenhingen: „Er hätte eine Anlage zu einem Wissenschaftler gehabt, wenn er nicht beim Sammeln stehengeblieben wäre.“ Stets sieht er in den Dingen ihr Potential Wissen zu vermitteln, sich selbst oder andere zu erfreuen. Seine Sammelleidenschaft macht beim archivieren von Zeitungen und Journalen oder skurrilen Prothesen keineswegs halt. Auch Joghurtbecher bewahrt er liebevoll, inklusive des Verzehrdatums. Jeden Freitag besucht Alfred den Stammtisch des Philosophie Professors Gregor Voss, den er noch aus seinen Studienzeiten kennt. Der illustre Kreis, außerdem bestehend aus der Schriftstellerin Dora Stein, dem Anglisten Otto Unlauter, der Studentin Brigitte Schneider, der Sozialpädagogin Uta Aufbau und der Künstlerin und Therapeutin Kyra Wiesel, ist sein einziger zwischenmenschlicher Bezugspunkt. Stets bemüht er sich seinen Freunden etwas für sie hilfreiches aufzusammeln und mitzubringen. Diese wollen ihn jedoch unter der Führung von Uta Aufbau von seinem Sammeln abbringen und verweigern in pädagogischer Manier die Annahme. Die Schriftstellerin beginnt indessen sich für den literarischen Gehalt von Alfred Irgangs Leben zu interessieren, während die Künstlerin mit Alfreds Sammlung einen Galeristen beeindrucken will. Immer deutlicher offenbart sich, daß die am Stammtisch versammelten gebildeten Gutmenschen die Andersartigkeit des Sammlers nicht ertragen. Sie erheben sich über ihn und machen ihn zum Objekt ihrer Zwecke. Sie glauben zu wissen, was gut für ihn sei, und das sein großes Erbe ihm nur schade: „nur das Geld ermöglicht es ihm, sich gegen die Gemeinschaft zu stellen“. Sie verlangen von Alfred, daß er ein ihren eigenen Maßstäben entsprechender normaler Mensch werden solle, sie wollen ihn „austrocknen“ und „einen Leidensdruck erzeugen“. Alfred trifft inzwischen auf einem seiner nächtlichen Streifzüge die stumme Matroschka. Sie folgt ihm fortan überall hin, und nachdem er seine Angst vor ihr überwunden hat entdeckt er mit der neuen Gefährtin, die ihn akzeptiert wie er ist, das Lachen wieder. Alfred sieht mit Wohlgefallen, wie seine Dinge ihm stapelweise entgegenwachsen. Und nun kann er seine Freude, seine Kunst, mit jemandem teilen: „Teilweise fühlte er sich den Konzeptkünstlern nahe, Hanne Darboven oder Christian Boltanski …Auch diese Künstler … wollten etwas bewahren, wollten die Zeit anhalten, wollten sich ihrer Geschichte vergewissern.“ Alfred ist so glücklich in seinem Leben wie schon lange nicht mehr, doch in Bezug auf Uta Aufbau hat er düstere Vorahnungen: „Diese Frau mit ihrer sozialen Energie würde ihn noch vernichten.“
‚Der Sammler‘ überzeugt durch die gelungene Darstellung des Alfred Irgang. Dessen Leidenschaft Jenseits der Norm hindert nicht seine sympathische Menschlichkeit und wird nachvollziehbar. Die Gutmenschen zeigen hingegen in Hochmut und Eigeninteresse ihre Unmenschlichkeit.

Ist das Leben es wert gelebt zu werden?

Heute einmal etwas philosophisches…

 In seinem Essay ‚Der Mythos des Sisyphos‘ entwirft Camus angesichts dieser Frage seine Philosophie des Absurden: „Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord“ Die Vorraussetzung für den Wunsch nach Selbstmord aus Überlegung ist Camus zufolge das Gefühl der Absurdität. Obgleich Selbstmord nur selten aus Überlegung begangen wird, und die individuellen Gründe der Selbstmörder nicht nachvollzogen werden können, möchte Camus untersuchen, ob es eine „Logik bis zum Tode“ gibt. Außerdem weißt er darauf hin, daß es neben dem physischen Selbstmord auch den „Selbstmord des Denkens im Moment seiner reinsten Auflehnung gibt“. Der Moment der Auflehnung des Denkens ist der Moment, in dem der Mensch die Absurdität seines Lebens erkennt. Zunächst entwickelt sich aus den mechanischen Abläufen seines Lebens ein Überdruß. Aus diesem Überdruß kann dann das Bewußtsein des Absurden entstehen oder aber der Mensch kehrt in den mechanischen Alltag zurück, ohne ihn zu reflektieren. Wird dem Menschen das Absurde bewußt, dann zerfällt in einem Augenblick das Gefüge der Erkenntnisse, Schemata und sogar der Begriffe in dem er bis dahin die Welt erklären und bändigen konnte. Er empfindet eine Fremdheit, einen Abgrund zwischen sich, seinem Bewußtsein, und der Welt in der plötzlich kein Ding mehr mit Begriffen erfaßt werden kann. „Die Welt verstehen heißt für einen Menschen, sie auf das Menschliche zurückführen, ihr seinen Siegel aufdrücken.“, in dem Moment, in dem er die Irrationalität der Welt erkennt, entsteht das Gefühl des Absurden in ihm. Dieses Gefühl des Absurden ist jedoch nichts statisches, es lebt weiter in einem Individuum, welches die Welt ohne Hoffnung auf einen Sinn betrachtet, die Absurdität immer wieder neu erfährt und erträgt, ohne sich mit ihr abzufinden. Es stirbt, wenn es verabsolutiert oder durch den existentiellen Sprung in die Hoffnung verleugnet wird. Das Absurde entspringt aus dem Widerspruch zwischen dem Bewußtsein des Menschen und der Welt. Es verschwindet, wenn einer dieser beiden Pole als absolut gesetzt wird. Kierkegaard macht nach Camus einen ‚existentiellen Sprung‘, indem er aus dem Scheitern und dem Tod Hoffnung schöpft. Er verleugnet das Absurde und flüchtet in die Transzendenz: „Aber für den Christen ist der Tod keineswegs das Ende von allem; er enthält schließlich mehr Hoffnung, als das Leben uns bietet…“ Camus bezeichnet diese existentielle Haltung als „philosophischen Selbstmord“. Von einer Philosophie der Nicht-Bedeutung der Welt ausgehend, negiert sich das Denken selbst, um schließlich Sinn und Tiefe in ihr zu finden. Nachdem Camus den ‚philosophischen Selbstmord‘ definiert hat, kehrt er wieder zur Ausgangsfrage zurück, ob die Absurdität des Daseins den Tod verlangt. Das Absurde entsteht aus dem Bewußtsein des Menschen. Ohne ein Bewußtsein wäre er ganz einfach Teil der Welt. Die Vernunft jedoch setzt ihn in Widerspruch zur Welt, läßt den absurden Konflikt überhaupt entstehen. Nachdem das Absurde erkannt ist, muß der Mensch daran festhalten „durch ein beständiges, immer wieder neues, stets angespanntes Bewußtsein.“ um in das tägliche Leben zurückkehren zu können, ohne in der Welt des anonymen ‚man‘ zu versinken. Das absurde Bewußtsein ermöglicht ihm die Auflehnung gegen jegliche Instrumentalisierung der Gegenwart für einen ‚Sinn‘. Der Mensch fühlt „nur diese seine unwiderrufliche Unschuld … die ihm alles erlaubt.“ Der Wert des Lebens ergibt sich also nicht aus einer Sinnhaftigkeit. Es scheint im Gegenteil desto lebenswerter je weniger Sinn es hat. Der Selbstmord löst das Problem des Absurden, indem er es im Tod des Individuums auflöst. In seiner Auflehnung gegen das Absurde bzw. dessen Aufhebung, seiner Freiheit des Handelns ohne moralische Vorurteile und seiner Leidenschaft für die mannigfaltigen Erfahrungen des Lebens, lehnt der absurde Mensch den Selbstmord ab. Er lebt ohne Widerruf und in prinzipieller Unschuld außerhalb einer metaphysischen Moral, vor der er sich rechtfertigen müßte. Er ist verantwortlich für die Folgen seiner Handlungen, jedoch niemals schuldig, da es für Schuld keinen Maßstab gibt. Tugendhaft ist der absurde Mensch „aus Laune“ und nur die Erfahrung bildet für ihn einen Maßstab zur Begründung seiner künftigen Handlungen.
Als die „absurdeste Gestalt“ bezeichnet Camus schließlich den schöpferischen Menschen. Der absurde Mensch versucht nicht mehr Erklärungen und Lösungen zu finden sondern Erfahrungen zu sammeln und zu beschreiben. Das künstlerische Schaffen ist die absurde Freude par excellence. Der Roman ist Camus zufolge ein Kunstwerk, „bei dem die Versuchung zu erklären besonders groß ist“, da der Schriftsteller hier ein eigenes Universum erschafft. Die großen Romanciers sind jedoch von der Nutzlosigkeit von Erklärungsprinzipien und Postulaten überzeugt und stehen damit den Thesen-Schriftstellern konträr gegenüber. Durch ihre „Entscheidung, eher in Bildern als in Beweißführungen“ zu schreiben, gelingt es ihnen „das Wirkliche zu sublimieren“, während das Denken dieses nur darstellen kann. Um den ‚Geboten des Absurden‘ gerecht zu werden, muß das Werk „die Entzweiung und die Auflehnung sichtbar“ machen und darf keine Hoffnungen und Schlußfolgerungen anbieten.
Zum Abschluß seines Essays illustriert Camus seine Vorstellung vom absurden Helden am Mythos von Sisyphos. Camus zufolge kann Sisyphos sein Schicksal bezwingen, obwohl er ihm äußerlich nicht entgehen kann. Während er ins Tal läuft um seinen Fels zu holen, bleibt ihm Zeit sich über sein Schicksal bewußt zu werden. Wenn er sein übergeordnetes Schicksal verachtet, und daraus „eine menschliche Angelegenheit“ macht, seine Sache, wendet er sich damit der Erde zu. Somit kommt ihm das „Universum, daß nun keinen Herrn mehr kennt, … weder unfruchtbar noch wertlos vor“

Das Dilemma von Entwurzelung, innerer Zerrissenheit und Ideologie,

Beginnen will ich mit einem meiner Lieblingsautoren: Fjodor Dostojewskij. Nietzsche sagte von ihm, er sei der einzige Psychologe, von dem er etwas zu lernen hatte.

Fjodor Dostojevskij Die Dämonen

Stepan Trofimowitsch Werchowenskij ist ein liberaler Schöngeist. Er lebt auf Kosten der Generalin und Gutsbesitzerin Warwara Petrowna. Einst war er der Hauslehrer ihrer Kinder, nun halten sie gemeinsam literarische Hausabende ab. Aus der Verflechtung von Warwaras aufbrausender Natur und Stepans gefühlsbetonten labilen Charakter entsteht eine gegenseitige Abhängigkeit, eine Haßliebe, die durchaus auch eine Liebe hätte werden können. Die nachfolgende Generation (des höheren Standes)hat im Liberalismus Ästhetizismus und Desinteresse der Vätergeneration die Verwurzelung mit der russischen Natur verloren und ist dem Nihilismus verfallen. „Sie können sich gar nicht vorstellen, welch ein Weh und welch heiliger Zorn die ganze Seele ergreift, wenn eine große Idee, die sie schon lange als heilig erkannt haben, plötzlich von Tölpeln aufgegriffen und zu ebensolchen Dummköpfen, wie sie selber sind, auf die Straße hinausgeschleppt wird und sie dann plötzlich diese Ihre Idee gänzlich unkenntlich auf dem Trödelmarkt wiedertreffen, in den Schmutz gezogen“ empört sich Stepan Trofimowitsch über diesen neuen Ungeist. Pjotr Stephanowitsch, sein Sohn, ist eben ein solcher Dämon, dem die Ideen nicht heilig sind. Er lebt für die Idee einer elitären Revolution, die in einem Totalitarismus enden soll. Sehr geschickt verstrickt er die gesamte Stadt in seinen Fäden und versucht jeden für seine Zwecke zu mißbrauchen. Nikolaj Wsewolodowitsch Stawrogin, der Sohn von Warwara, ist ebenfalls dem Nihilismus verfallen. Er quält sich in seinem Wunsch an Gott glauben zu können und sucht sich selbst zu quälen, sich eine möglichst große Last aufzuladen. Er erträgt seine Entwurzelung nicht: er würde „lieber bei Christus als bei der Wahrheit bleiben“ und geißelt sich für seine Unfähigkeit mit einer niederträchtigen Tat deren Last schließlich ausreicht sich selbst zugrunde zu richten. Alexej Nilytsch Kirillow schließlich möchte Freiheit für sich und die Menschheit erringen. Er möchte sich umbringen um den Menschen zu zeigen, daß sie frei und glücklich sind. Das alles gut ist, weil alles gleichgültig ist: „Das Leben wird jetzt für Schmerz und Angst gegeben, und hierin liegt der ganze Betrug. Jetzt ist der Mensch noch nicht jener Mensch. Es wird einen neuen Menschen geben, einen glücklichen und stolzen. Wem es ganz gleich sein wird, ob er lebt oder nicht, der wird ein neuer Mensch sein. Wer Schmerz und Angst überwindet, wird selbst ein Gott sein. Aber jener Gott wird nicht sein.“
Dostojewskij hat in seinem Roman faszinierende Charaktere geschaffen und sehr präzise und hellsichtig das Dilemma von Entwurzelung, innerer Zerrissenheit und Ideologie beschrieben. Der Roman hat einen enormen Umfang und ist dabei unübersichtlich und gebrochen. Es lohnt sich jedoch, sich durch einige Längen in der Personenbeschreibung durchzukämpfen. Erhellend ist auch die Erkenntnis, daß Dostojewskij zunächst Stepan Trofimowitsch als Hauptfigur gestaltet hat, im späteren Schreibverlauf (zu diesem Zeitpunkt waren erste Teile des Romans schon veröffentlicht) jedoch Nikolaj Wsewelodowitsch zu seiner Hauptfigur machte. Überhaupt ist Dostojewskij ein Autor, bei dem es sich stets lohnt auch den biographischen Hintergründen Beachtung zu schenken.