Bei zwei Autorinnen, die ich auf der Buchmesse am Freitag sah, spielen Erfahrungen von Entrechtung und Gewalt und die Notwendigkeit darüber zu sprechen eine wichtige Rolle.
Eine dieser Autorinnen ist Swetlana Alexijewitsch, die Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels. Die weissrussische Autorin hat literarisch die Aussagen von Menschen in der ehemaligen Sowjetunion dokumentiert. In ihren Büchern entlarvt sie durch detaillierte Zeugnisse Platitüden und Phrasen über den Krieg und auch über die Katastrophe von Tschernobyl. Sie schreibt Geschichte jenseits des offiziell erwünschten. In ihrem Buch „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ hielt sie die Kriegserinnerungen von Frauen fest und damit eine Geschichte, die sonst durch Tabuisierung und Verschweigen ausgelöscht worden wäre. Zusätzlich hat sie mit diesem Buch viel für das Festhalten einer weiblichen Geschichte getan. „Ich hoffe, dass es volle Gleichberechtigung geben wird“, sagt die Autorin.
In Russland dürfen ihre Bücher momentan erscheinen, in Weissrussland sind sie jedoch verboten. In ihrem neusten Buch „Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus“ beschreibt Swetlana Alexijewitsch die prekäre Situation vieler Menschen zwischen russischem Kapitalismus und neuen autoritären Staatslenkern. Im Pressegespräch auf der Frankfurter Buchmesse sagt die Autorin, dass die Situation in der Ehemaligen Sowjetunion heute eine andere wäre, wenn die Menschen weniger idealistisch wären. Es gibt viel Armut vor allem auf dem Land. Zusätzlich leben die Menschen in Angst vor willkürlichen Verhaftungen. Swetlana Alexijewitsch berichtet etwa von einem „Paar, das ausreisen muss, weil es aufgrund eines neuen Gesetzes Gefahr läuft, seiner Kinder beraubt zu werden“. Es scheint unter diesen Umständen von außerhalb paradox, dass viele Lukaschenko und Putin unterstützen, „wenn man drinnen ist, entsteht die Frage nicht, dann ist alles ganz klar“. „Man schaut auf die Ukraine und auf Russland und ist da und dort erschrocken“ und viele fühlen sich mit den bekannten Grausamkeiten der Diktatur sicherer als mit den fremden Grausamkeiten des Kapitalismus. „Die Diktatur ist ein Monster, ein Wesen, das man keinem erklären kann“, es sei denn, man ist ein Ohrenmensch wie Swetlana Alexijewitsch und sammelt die Stimmen von der Straße ein.
Die andere Autorin ist Carolin Emcke, ihr Buch „
Weil es sagbar ist – Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit“ ist im Fischerverlag erschienen. Sie hinterfragt die Phrasen des Unsagbaren und betont, dass es wichtig ist, von Erlebnissen der Gewalt zu berichten – sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft. Wenn Betroffene nicht sprechen können, liegt es wahrscheinlich öfter daran, dass ihnen niemand die Zeit und den Raum für ihre Berichte geben will als an ihrer Sprachlosigkeit. Mit der Rede vom Unsagbaren werden Gewaltverbrechen und ihre Folgen einfach abgeschoben. Aber damit nicht vergessen wird und sich etwas ändern kann, muss davon erzählt werden.
Sogar im Bezug auf die Shoah habe ich viele Erfahrungen gemacht, die diese Thesen bestätigen. Schüler werden einerseits vor der Komplexität und den Abgründen der Ereignisse „verschont“ und andererseits mit Moralpredigten und Platitüden gequält.
Ich freue mich schon sehr auf die Lektüre der Bücher!
Eine Leseempfehlung bekommen sie von mir schon jetzt!