Schlagwort-Archive: btb

Der Glatzkopfgeier frisst den Morgen

Ein Mann treibt durch das Leben. Sein Fixpunkt: die geliebte Freundin aus Kindertagen. Doch die Kraft sich ihr zu nähern bringt er nicht auf. Er kreist um sich, sucht sich in seinen Handlungen zu erhalten und zu verstehen. 
Zwei Beziehungen führt der Mann mit Frauen, die er zwar liebt, aber nicht auf Augenhöhe, in geistiger Verwandschaft oder tiefem Begehren. Die erste stürzt er ins Unglück, mit der zweiten führt er eine glückliche Ehe. Bis die Geliebte aus Kindertagen wieder auftaucht und alles in Frage stellt. 
Ein spannendes,poetisches,erotisches, mitunter philosophisches Buch. Vieles bleibt ungeklärt und offen – es geht nicht um Erklärung sondern um das Ungeklärte: Wie fügt sich unser Leben? Warum handeln, entscheiden wir so oder so? Wie zusammen leben? Wie für den anderen da sein? 
Ein wenig ist die Geliebte Shimamoto eine Parabel für diese 100%ige kompromisslose Liebe, die im realen Leben nicht erreichbar scheint. Zu Zeiten scheinbar endloser Wahlmöglichkeiten zweifelt Hajime immer wieder an den Gefährten seines Lebens und sich selbst. Hat er sich deshalb eine Shimamoto erträumt? Oder ist es die Unmöglichkeit und der ungelebte Alltag der die Beziehung zu Shimamoto so perfekt macht?

Und Nietzsche weinte

Und Nietzsche weinte von Irvin D Yalom
Nietzsche und Freud. Vermutlich hat jeder, der sich mit ihren Werken befasste sich manches Mal gefragt, ob die Wege dieser beiden beeindruckenden Zeitgenossen sich jemals kreuzten, ob sich ihre in mancherlei Hinsicht verwandten Gedanken je gegenseitig befruchteten. Über Nietzsches Leben ist sehr viel bekannt, sein Leben wird beispielsweise detailliert in der Nietzsche-Chronik nachgezeichnet, seine Briefe, seine gesammelten Werke stehen zur Verfügung. Gerade Nietzsches Verhältnis zu den Frauen ist einerseits ein leerer Fleck in diesem Wissen, andererseits gibt es allerhand ‚Belege‘ die die Absonderlichkeit dieses Verhältnisses betonen: der bestmögliche Nährboden für Klatsch. Einen Kontakt zwischen Nietzsche und Freud gab es vermutlich nicht. 
Dieses Buch bietet nun einerseits eine reizvolle literarische Auspinselung des Verhältnisses Nietzsches zur Psychoanalyse. Andererseits bringt es ein wenig platt die altbekannten Geschichten von Nietzsches angeblichem Frauen-Trauma und den Resultaten in Leben und Werk. Während die Zusammenführung einiger Schriften Nietzsches mit der frühen Psychoanalyse sehr unterhaltsam ist, wirkt die Hinführung zur Therapie des Denkers streckenweise sehr gestelzt. Man spürt förmlich, wie ein Blick aus dem 21. Jahrhundert das 19. ausmalt und einige seiner beeindruckensten Protagonisten in einer Weise zusammenführt die sie wohl dazu brächte, sich im Grabe umzudrehen. 
Manchmal scheint es mir, dass das bekannte Photo Nietzsches im Profil einen übergroßen Einfluss hat. Der Nietzsche den Irvin D. Yalom zeichnet ist nun wirklich der hinreißende Fall eines bockigen,distanzierten aber genialen Patienten, dem sich der Therapeut dann nähert, seine Distanz aufbrechen kann und dann endlich weint er! Herzzereißend und schmalzig. Und ganz kann ich mich auch nicht des Eindrucks einer gewissen Unredlichkeit erwähren: Ist es nicht nurmehr bloßes name-dropping das Personal dieses Romans nach bekannten historischen Vorbildern zu benennen? Wäre der Roman ‚Und Hans-Otto weinte‘ ebenso gut verkauft worden? 
Zugute halte ich dem Buch aber neben einer sich deutlich steigernden Spannung und Sympathie für seine Figuren, dass es Lust auf eine eigene Begegnung mit Nietzsche (und auch Lou Salomé)macht. Außerdem zeigt es auch Defizite der Psychoanalyse, so zum Beispiel das Machtverhältniss zwischen Arzt und Patienten, oder der Verherrlichung die aus der Hoffnung entspringt, gerade dieser Mensch möge helfen können. Dem Autor gelingt es auch, Nietzsches Argumente glaubhaft in seiner Geschichte einzuweben ohne ihnen ihre kritische Kraft zu nehmen und sie zu einem bloßen Brevier zum Wohlbefinden zu verstümmeln. Die philosophische Lebensberatung wird als eine fruchtbare Abwandlung der psychoanalytischen Vorgehensweise beschrieben. Auch die Geschichte der Ehekrise des Arztes sowie die Bearbeitung seiner Obsession fand ich gegen Ende beeindruckend und plausibel. Dennoch schätze ich Bücher mehr, die eigene Erfahrung unumwunden zum Stoff machen und gerade wenn man literarische Größen wie Nietzsche zur Figur bemüht setzt man hohe Maßstäbe für das eigene Schreiben.