Archiv für den Monat: Mai 2013

Die Freiheit der alten Zeit

Das Buch „Schöne alte Welt“ von Tom Hodgkinson berichtet auf vergnügliche Weise vom Leben auf dem Lande. Das Buch ist schnell und flüssig zu lesen, es weckt Begeisterung für antike und mittelalterliche Weisheiten, das Benutzen von Sense und Harke sowie das Pflanzen und Sammeln, Holz Lagern und Ernten.
Das Buch ist angeordnet wie ein Jahreszeiten-Kalender. Für jeden Monat werden Experten zitiert, ob aus dem Mittelalter, der Antike oder der Neuzeit. Sie listen die notwendigen und wünschenswerten gärtnerischen Aufgaben und geben die ein oder andere Lebensweisheit zum besten.
Hodgkinson zufolge ist das moderne Leben gekennzeichnet von einer „Haltung gestressten Trübsinns“ (S.196). Die Maschienen die uns das Leben erleichtern sollen füllen es mit stressendem Lärm (Rasenmäher) machen uns abhängig (Zentralheizung) und stören unser Miteinander und vernichten unsere Zeit (Fernseher). Außerdem rennen wir um der Lebensmittelindustrie und kapitalistischen Effiziens willen in den Supermarkt um dort Nicht-Lebensmittel zu horrenden Preisen zu kaufen, die geschmacklos und ungesund sind.
Statt voran in die Barbarei sollte also das Rad der Zeit zurückgedreht werden. Wartet dort das Paradies? Nein, es wartet ein Leben voller Arbeit, Mühsal und Schmerzen. Aber auch voller Reichhaltigem Miteinander, Intensität, Befriedigung, Eigenständigkeit und Authentizität.
Ein prasselndes Holzfeuer gibt nicht nur Wärme, es nährt auch die Seele. Es führt die Familie zusammen, erlaubt Nachdenken genauso wie gemeinsames Spiel. Das Anpflanzen und Ernten, das Sensen und Harken, die Hühnerhaltung, das Brotbacken und Einmachen – dies alles bringt uns nicht nur hervorragende Lebensmittel mit unvergleichlichem Geschmack und Vitaminen, es bringt auch Zeit, Zeit ohne Lärm, Zeit miteinander und Zeit bei einer sinnvollen Beschäftigung die das Herz erfüllt.

Hodgkinson erzählt so lebendig von den Vorzügen und Hindernissen beim Feuern mit Holz, dass der Funke der Leidenschaft überspringt. Auch seine Anekdoten von der Hühnerhaltung, diebischen Füchsen und eierfressenden Ratten, der Bienenhaltung, dem Brotbacken und Bierbrauen sind amüsant und informativ. Einzig die Ratschläge zum Gartenbau sind zu sehr mit Auflistungen befrachtet. Am Anfang vergleicht man noch voller Interessen diese Listen, die seit Jahrhunderten die Weisheiten des Gärtnerns bewahren, aber man kann sich letzlich wenig aus dieser Fülle merken. Mehr praktische Hinweise und Tipps, vielleicht auch ein paar einprägsahme Illustrationen und der Leser hätte mehr das Gefühl eines praktischen Leitfadens. Schade ist auch das Hodgkinson Konzepte wie die Permakultur und die Antroposophie sehr schnell abhandelt. Die Permakultur klappte bei ihm nicht und Rudolf Steiner, so erklärte ihm ein kluger Deutscher, sei doch eher suspekt. – Na ja, die Antroposophie mag zum Teil suspekt sein, aber in weiten Teilen finden sich Übereinstimmungen, etwa die Rückkehr zum gemeinsamen Handeln und Selbstmachen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die rosarote Brille, mit der Hodkinson Antike und Mittelalter betrachtet. Um es mit Marx zu sagen: die Geschichte ist eine Geschichte von Klassenkämpfen, und auch Mittelalter und Antike waren von der Unterdrückung des größten Teils der Bevölkerung geprägt. Es war kein goldenes Zeitalter, aber man mag konzedieren, dass es auch nicht nur ein düsteres war.
Hodgkinsons Analyse des modernen Menschen allein lohnt schon die Lektüre, seine praktischen Hinweise und die lateinischen Lebensweisheiten tuen ein übriges.
Also gibt es eine Leseempfehlung mit drei Pfoten und vier Sternen! Es lohnt sich, die Ruhe, das Feiern, das Vorausdenken und das Herumfragen wiederzuentdecken (laut Hodgkinson „das neue Internet).

Ein leiser Roman, damit die Kinder nicht aufwachen

Im Roman „Die Schwerelosen“ von Valeria Luiselli wird in kurzen Abschnitten erzählt, die auf den ersten Blick aussehen wie Aphorismen.
Die Abschnitte sind so kurz, weil hier eine Mutter schreibt. Sie schreibt, wenn das Baby schläft. Sie schreibt einen leisen Roman, sie schreibt einen Roman in den wenigen Momenten der Ruhe. Die Form des Buches ist durchdrungen von dieser Mutter und ihrer Familie. Die aphoristischen Textstücke sind verschachtelt wie das Haus, in dem die Familie wohnt, und das die Mutter nie verlässt. 
Sie schreibt ein Buch über ihre Zeit als Übersetzerin in einem kleinen Verlag in New York. Die junge Frau lebt am Rande, am Rande ihrer Wohnung, am Rande der Stadt. Sie füllt ihr Leben, ihre Wohnung mit Menschen, mit ihrer Freundin und mit Männern. Doch alles ist in der Schwebe, nichts nimmt eine feste Form an.
Wenn die junge Frau in ihrem roten Mantel durch die Stadt streift sieht sie sich selbst. Unterwegs zu sein, heißt da zu sein.
Eines Tages entdeckt sie in einer Bibliothek Briefe des Dichters Gilberto Owen. Er hatte vor Jahrzehnten nicht weit von ihrer Wohnung entfernt gewohnt. Dieser Dichter fasziniert sie, sie will dass er übersetzt und veröffentlicht wird. In ihr Leben kommt Verbindlichkeit – der Geist des Dichters ist ihr näher als die Lebenden. Manchmal sieht sie ihn in einer parallel fahrenden U-Bahn sitzen.

Wer schreibt, bestimmt das Geschriebene, kann sich in ihm distanzieren, sich verlieren und von der erschaffenen Welt auch bestimmt werden. Die Realität und die Fiktion vermischen sich, mal fruchtbar, mal beschwerend.
Der Ehemann liest immer wieder Textabschnitte seiner schreibenden Frau, liest über ihre Liebschaften, über ihr Innerstes  – und die Familie, ja das ganze Haus drohen auseinanderzubrechen.
Vielleicht schriebt auch Gilberto Owen dieses Buch, schreibt in Philadelphia ein Buch über eine Frau, die in Mexiko City in ihr Haus eingeschlossen ist. Auch das Leben des Dichters ist geprägt von dem Gefühl zu verschwinden. Und manchmal sieht er in der UBahn eine junge Frau in rotem Mantel.

Im Roman „Die Schwerelosen“ von Valeria Luiselli eröffnet sich dem Leser das Spannungsfeld zwischen Ungebundenheit und Familie, Fiktion und Realität, Autorschaft und literarischer Figur,
Intellektualität und Körperlichkeit.
Es handelt vom verschwinden: dem Verlassen einer Stadt, eines Partners, einer Zeit, eines Körpers. Dem Verlassen der Realität. Und vom wieder-auftauchen: aus der Menge, aus einem Buch, aus der Vergangenheit, der Bibliothek, der Zukunft, dem Haus, dem Traum und der Sprache.

Das Buch scheint in viele Notizen zu zerfallen, aber es wird immer klarer, dass sie eine horizontale Komposition bilden. Das Buch ist spannend, voll Witz, Erkenntnis, Schwere und Bedrückendem.
Eine eindeutige Leseempfehlung ohne Wenn und Aber!!!

Kiwisuppe vom kleinen Nick

Wenn sie in der Küche werkeln können wie die Großen macht den Kindern das Essen am meisten Spaß. Das liebevoll gestaltete Kinderkochbuch „Kochen mit dem Kleinen Nick“ aus dem Diogenes Verlag möchte Kinder ab 7 Jahre dabei begleiten.
Fünfzig prima Rezepte wurden ausgewählt. Sie sind kindgerecht beschrieben und umgeben von lustigen Zeichnungen aus den Büchern „Der kleine Nick“. 
Die Anleitungen sind gut geschrieben, die Kinder werden aber so manchen Begriff nachfragen und auch bei einigen Rezepten Unterstützung brauchen.
Unser Favorit ist die Kiwi-Orangen Suppe, einfach, mit schönem Aussehen, lecker, gesund und lustig! Solche ungewöhnlichen Rezepte hätten wir uns mehr gewünscht. 
Nicht so geeignet für Kinder ist das fünfzigerjahre Outfit des Buches sowie die unübersichtliche Schreibschrift. Leider sind die Zeichnungen aus den Nick-Büchern übernommen. Einige sind außerhalb des Zusammenhangs gar nicht so lustig. 
Wie schön wäre es gewesen, wenn eine kleine Rahmenhandlung von Jean-Jacques Sempé gezeichnet worden wäre. Der kleine Nick und seine Freunde zwischen Teller- und Topfstapeln, mit Majo im Haar und Teig an den Händen. Dazu größere Seiten, leuchtend bunte Bilder zu den Rezepten und eine schöne Druckschrift: das wäre eine fünfpfotige Empfehlung. So ist dieses Buch ein hoffnungsvoller Anfang mit zwei Pfoten und drei Sternen. Für echte Nick-Fans eine prima Sache, aber vielleicht eher für die Großen als für die Kleinen.